Das Sakrament
Boden. Er sah die blauen Flecke an Amparos Armen und setzte sich auf die Matratze, hob sanft ihren Kopf. Ihr Haar war noch immer weich und glatt. Ihre Haut schimmerte weiß wie eine Perle. Alle Farbe war aus ihren Lippen gewichen. Die Augen hatte sie weit offen, eines braun, eines grau, und beide waren mit dem Schleier des Todes überzogen. Tannhäuser brachte es nicht über sich, sie ihr zu schließen. Er streichelte ihre linke Wange und spürte mit den Fingern dem verletzten Knochen nach, der irgendwie ihre seltsame, unvergleichliche Schönheit noch sichtbarer gemacht hatte. Er berührte ihren Mund. Von all den vielen Tausenden, die auf diesem sonnenverbrannten Eiland gestorben waren, hatte Amparo das reinste Herz gehabt. Sie war allein gestorben, verlassen und verletzt, ohne einen Beschützer, auf densie sich verlassen konnte. Seine Benommenheit wich einem ungeheuerlichen Schmerz, und diesmal war kein Abbas da, der seine Tränen aufhalten konnte. Tannhäuser hatte sie im Stich gelassen, sie nicht beschützt. Schlimmer noch: Er hatte den Mut nicht aufgebracht, sie so zu lieben, wie sie es verdiente. Sie so zu lieben, wie sie ihn liebte, obwohl er es nicht verdiente. Er hatte es nicht gewagt, einer solchen Liebe offen entgegenzutreten. Er hatte sich vor ihr wie ein feiger Hund versteckt. Tannhäuser versuchte sich an die letzten Worte zu erinnern, die er sie hatte sagen hören. Er konnte es nicht, und es zerriß ihm das Herz. Er war von einer so ungeheuerlichen Trauer erfüllt, daß er sie nicht fassen konnte. Er stöhnte auf und drückte Amparo an die Brust, vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und schluchzte vor Schmerz. Und er flehte Jesus Christus um Erbarmen an und bat Amparos Geist, er möge ihm verzeihen.
So fand Gullu Cakie ihn. Tannhäuser fühlte die Hand des alten Schurken auf der Schulter und blickte auf. In den tiefen Falten, welche die Wangen des Maltesers durchzogen, in seinen Augen sah er sich selbst. Auch Gullu hatte viele verloren, die er geliebt hatte. Tannhäuser legte Amparo vorsichtig wieder auf das Bett. Ihre Augen waren immer noch offen. Selbst im Tod schien ihnen ein Licht innezuwohnen, ein Leuchten, das sich einfach nicht auslöschen ließ. Er schloß sie und stand auf.
»Seht nur«, sagte Gullu.
Der Alte deutete auf Amparos Hand, die den Kamm aus Silber und Elfenbein umklammerte, den er ihr im Basar gekauft hatte. Tannhäuser löste ihn aus der Umklammerung.
»Jesus hat über den Tod triumphiert, und sie wird das auch tun, denn das hat Er uns versprochen«, sagte Cakie. »Sie wird für immer bei Euch sein, wenn Ihr das wollt. Doch das Leben geht weiter. Und Ihr habt noch eine Aufgabe zu erledigen.«
Tannhäuser sank der Mut. Er war todmüde und traurig. Er hatte genug. Trauer war kein gutes Marschgepäck für das Schlachtfeld. Er wollte wegrennen. Zu dem Boot in Zonra. Auf die türkischenSchiffe. Zu einer Flasche Branntwein und einem Kanten Opium. Aber Carla war noch da draußen. Und Orlandu. Und Ludovico und der ganze widerwärtige Troß des Inquisitors. Tannhäuser steckte sich den Elfenbeinkamm ins Haar. Er legte Amparo gerade hin und faltete ihr die Arme vor der Brust. Wieder sah er die gelben und blauen Blutergüsse an ihren zarten Armen. Er nahm das zerwühlte Laken vom Bett, glättete es und breitete es sanft wie eine Zärtlichkeit über ihren Leichnam. Es war vollbracht. Amparo war fort.
Mit Anbruch des Tages läuteten die Glocken von San Lorenzo das Freudengeläut des Sieges.
Tannhäuser schritt durch das Zimmer und zerrte die jammernde Alte aus ihrer Ecke.
Er wandte sich Gullu Cakie zu. »Ich gehe den Jungen suchen, Orlandu. Reitet Ihr mit uns?«
Er folgte Gullu Cakie hinunter in die Verliese und zerrte die kreischende Alte an ihren Haaren hinter sich her. Bors war in einem finsteren Loch gefangengehalten worden, und als man ihn freigelassen hatte, war er so gewalttätig auf den Wärter losgegangen, daß Gullu schnell aus dem Weg gesprungen war und die Zelle hinter sich abgeschlossen hatte. Als sie nun den muffigen Gang hinuntergingen, hörten sie Bors schon von weitem schreien. Daneben erklangen die erstickten Klagelaute seines Opfers. Gullu schloß die Tür auf, und Bors wandte sich ihnen mit blutbeschmierten Händen zu. Hinter ihm lag der Wärter mit verrenkten Gliedmaßen auf dem Boden. Die Falltür zur Oubliette stand offen.
»Bors«, sagte Tannhäuser. »Stehst du auf sicheren Beinen?«
Die Augen seines Gefährten wurden mit einem Schlag klar. »Felsenfest«,
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