Das Sakrament
verbrannt. Am Ende des zweiten Tages, als die meisten Jungen darum baten, von dieser grausigen Pflicht entbunden zu werden, waren Orlandus zerlumpte Kleider steif vom Blut der Tiere, die er getötet und zum Scheiterhaufen gezerrt hatte. Sein Fleisch schmerzte vor unzähligen Bissen. Ihm war speiübel. Er war völlig ausgetrocknet. Er hatte das Gemetzel satt, es schwindelte ihm davon, und er kam zu dem Ergebnis, daß Pater Guillaume vielleicht mit den Seelen doch recht hatte, denn wenn er etwas anderes glaubte, dann würde seine Arbeit unerträglich werden.
Orlandu schlief allein am Kai auf einem Lager aus Kornsäcken. Wenn er aufstand und in den Gassen seine Beute suchte, wichen die Menschen vor ihm zurück, als wäre er ein aus einem Heim entwichener Wahnsinniger. Zunächst glaubte er, daß es an seinem Gestank lag, aber der Augenausdruck des Bäckers, bei dem er sich einen Laib Brot zum Frühstück kaufte, machte dem Jungen klar,daß er ihnen Abscheu und Respekt einflößte. Der Bäcker hatte Angst vor ihm. Danach ging Orlandu aufrechter und setzte ein ernstes und teilnahmsloses Gesicht auf, genau wie die Ritter. Beim Gerber kaufte er sich ein Stück Schaffell, schmierte das Leder mit Hühnertalg ein und band es sich mit dem Leder nach innen um einen Unterarm. Aber auch mit diesem Schutz drangen die Zähne der Hunde bis zum Knochen in seinen Arm ein, denn nur die wildesten in dieser Meute hatten die Jagd so lange überlebt. Am zweiten Abend war seine linke Hand voller blauer Flecke. Die Wachmänner an den Kais teilten ihr Zuckerwerk und die über ihren Kohlenpfannen gebratenen Nieren mit ihm und bedrängten ihn, von der Jagd zu erzählen. Er stimmte in ihr ordinäres Gelächter über Dinge ein, die er gar nicht lustig gefunden hatte. Sie fragten ihn, wie viele er getötet hatte. Orlandu konnte sich nicht daran erinnern. Zwanzig, dreißig, vielleicht mehr? Sie musterten seine Prellungen und Bißwunden, wenn sie meinten, daß er abgelenkt war, und tauschten geheimnisvolle Blicke. Sie hielten ihn für ein seltsames Wesen. Er ließ sie an ihrem Feuer zurück. Als er sich wieder auf seine Sackleinwand zum Schlafen hinlegte und zu den Sternen schaute, war er ein anderer Junge als der, der hier am vergangenen Morgen aufgestanden war.
Er war ein Bastard, ein Ausgestoßener, ob er wollte oder nicht. Daher hatte er sich entschlossen, lieber hier am Ufer sein Leben zu fristen, als wie ein Sklave auf der Schweinefarm zu schuften, auf der er aufgewachsen war. Er arbeitete an den Kais, half dabei, die Galeeren mit dem Kiel nach oben zu drehen, kochte Teer und schrubbte die Schiffsrümpfe sauber. Scheußliche Arbeit, aber er war frei und konnte davon träumen, Steuermann in der Flotte des Ordens zu werden. In der Nacht starrte er auf den Himmel und schaute zum Polarstern im Schwanz des Kleinen Bären. Sein Schlaf war unruhig, er wurde von bösartigen Geistern und Träumen heimgesucht, die dunkel und ohne Trost waren.
Bei Tagesanbruch war der schöne, schneeweiße Windhund aufgetaucht und hatte Orlandu gemustert, als wüßte er um dessen Träume. Zunächst hielt Orlandu ihn für ein Gespenst und begannwieder an die Seele von Hunden zu glauben. Dieser Glaube wurde auch nicht dadurch erschüttert, daß sich die Vision als Wirklichkeit herausstellte. Als der weiße Windhund in die in violetten Schatten liegenden Straßen floh, verfolgte Orlandu ihn.
Wie ein Geist aus einer Fabel über die Eitelkeit jeglicher menschlicher Unternehmung führte ihn der weiße Hund durch die jämmerlichen Behausungen an der Bucht von Kalkara und weiter in die Stadt, auf die Stimmen zu, die sich zum Lobpreis des neuen Tages erhoben hatten. Die Konventskirche San Lorenzo war in violettes Licht getaucht. Gelb leuchteten die geöffneten Türen in der eindrucksvollen Fassade. Orlandu zog es durch die geheiligte Pforte. Er legte sein Messer bei einem Strebepfeiler ab und ging auf Zehenspitzen durch den Türbogen. Der Steinboden lag kühl unter seinen Fußsohlen. Die gregorianischen Gesänge jagten ihm Schauer über den Rücken. Er tauchte seine Fingerspitzen ins Weihwasser, machte eine Kniebeuge und bekreuzigte sich. Dann ging er leise auf den gelben Schimmer im Kircheninneren zu. San Lorenzo war die Kirche der Ritter von Johannes dem Täufer. Noch nie war Orlandu über diese Schwelle getreten. Sein Herz pochte ihm bis zum Hals, und er wagte kaum zu atmen, als er durch den Vorraum ging. Jenseits der beiden dicken Säulen, die das Kirchenschiff einrahmten,
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