Das Sakrament
erstreckte sich das Kircheninnere vor ihm und betäubte seine Sinne.
Die gesamte Kongregation des Ordens war dort vereint. Die Steine bebten, als ein halbes Tausend Soldaten des Kreuzes die Stimmen zu Gott erhob. Die kriegerischen Mönche standen Reihe um Reihe in ihren schlichten schwarzen Gewändern da, sanfter als Lämmer und doch wilder als Tiger, vereint in der Liebe zu Christus und Johannes dem Täufer, in stolzer und furchtloser Haltung, und sangen mit einer Freude, die sich zum Himmel aufschwang. Weihrauch wehte durch die Reihen und machte den Jungen ganz schwindlig. Der ganze ungeheure Raum schimmerte und flackerte vom Licht unzähliger Kerzen, und doch schien jeder Lichtstrahl von der gefolterten Gestalt Christi hoch über demAltar auszugehen. Dorthin zog es Orlandus Blicke und die aller anderen in dieser mächtigen Versammlung: auf das hagere, edle Antlitz dessen, der für die ganze Menschheit gelitten hatte und für sie gestorben war, auf die blutige Dornenkrone und die im Schmerz verkrampften Hände, auf den durchbohrten und ausgezehrten Körper, der gekrümmt am Kreuz hing, als sei Sein letztes Leiden noch nicht vollbracht.
Orlandu war voller Kummer. Er wußte, daß Jesus ihn liebte. Ein Schluchzen entrang sich seiner Kehle, und er schlang seine blutigen Hände um sich und fiel auf die Knie.
»Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen, der seligen Jungfrau Maria, dem seligen Erzengel Michael, dem heiligen Johannes dem Täufer, den heiligen Aposteln Petrus und Paulus und allen Heiligen, daß ich gesündigt habe in Gedanken, Worten und Werken, durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergroße Schuld.«
Er war nicht der einzige, der diese Bitte um Vergebung aussprach, auch nicht der einzige, der weinte. Vielen Mönchen rannen Tränen über die Wangen, und sie schämten sich dessen nicht. Kummer und Freude füllten die Kirche bis unter die Deckenbalken. Seit der Tragödie von Rhodos hatten sich nicht so viele Ordensbrüder an einem Ort zusammengefunden. Und wenn niemand unter ihnen glaubte, daß sich je wieder eine solche Anzahl von Mönchen versammeln würde, dann nur, weil jeder nach Malta gekommen war, um hier notfalls für seinen Glauben zu sterben. Gott hatte den Orden zum Krieg gerufen. Nun waren Feuer und Schwert die heiligen Werkzeuge ihres Glaubens. Orlandu wurde in den Strudel der Anbetung ringsum hineingezogen und nahm sein Schicksal so bereitwillig an wie alle anderen. Auch er sehnte sich danach, für Christus, den Heiland, zu sterben, und doch verließen ihn seine Instinkte nicht. Er wandte sich gerade noch rechtzeitig um, um Pater Guillaume, den Kaplan, zu sehen, der wütend über den zerlumpten Eindringling aus einer Ecke auf ihn zukam. Orlandu erhob sich mühsam und floh durch den Vorraum ins erste Tageslicht. Er nahm sein Messer aus dem Versteck und lief um die Ecke der Kirche.
Dort stand der schneeweiße Windhund, als spielte er mit ihm ein Spiel, dessen Regeln und Ausgang er unmöglich begreifen konnte, und wartete auf ihn.
Im helleren Licht sah Orlandu nun, daß die schmalen Flanken des Hundes von frischen Messerstichen gezeichnet waren. Andere hatten bereits versucht, das Tier zu töten, und waren gescheitert. Orlandus Augen waren noch feucht von Tränen. Der Gedanke an das bevorstehende Gemetzel drehte ihm den Magen um. La Valette aber hatte seine eigenen Hunde getötet, die Hunde, die er mehr liebte als alle anderen Lebewesen. Er hatte sie für die Menschen getötet, für den Orden und für Gott. Orlandu überlegte, ob er dem Tier das mit Fett getränkte Fell, das er noch um den Arm gebunden hatte, hinstrecken sollte, um es zu locken. Aber diesen Hund zu täuschen, wie er gestern die Tölen getäuscht hatte, erschien ihm gemein, vielleicht gar unheilig. Er zeigte dem Windhund sein Messer.
Der Hund wandte sich ab und sprang fort.
Orlandu rannte ihm nach.
Den ganzen Morgen lang, während die Sonne die Kühle des Morgens brach und die Hitze immer glühender wurde, verfolgte Orlandu den fliehenden Hund, verlor ihn aus den Augen, fand seine Spur wieder, verlor und fand ihn wieder. Kreuz und quer durch Birgu, vom Provence-Tor in der ungeheuren Mauer auf der Landseite bis zu den Kais der Werftbucht, von Kalkara nach St. Angelo, durch Märkte und über Müllhaufen, durch Sonnenlicht und Schatten. Während der Junge und der Hund jede Straße und jede Gasse durchmaßen, verwandelte sich die Stadt selbst in einen Ort der Angst.
Trommeln dröhnten, Trompeten erschallten, Glocken
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