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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Gefühl. Während er tiefer stieg, empfand Guntram viel deutlicher als sonst die Einzigartigkeit ihrer Existenz. Nur ein paar Steinschichten unter dem Sakriversum begann das große Nichts des Mittelschiffs: ein Raum, so hoch, daß selbst die Weltlichen von unten aus nur ehrfurchtsvoll und staunend nach oben gesehen haben konnten.
    Guntram ging instinktiv vorsichtiger. Wer dies geplant und dann gebaut hatte, mußte ein wahrhaft großer Mann gewesen sein!
    Die Treppe endete in einem glockenförmigen Raum, in dessen Mitte ein altarartiges Podest stand. Guntram leuchtete über den schrägen Fußboden. An den unteren Kanten des Raums hatte sich Geröll gesammelt, Mäusekot, Federn und allerlei andere Abfälle.
    Noch während Guntram den Raum ausleuchtete, öffnete sich scharrend eine Steinplatte über dem Altar. Gelbliches Licht fiel in den Raum.
    »Komm über die Strickleiter nach oben«, sagte eine Stimme. Sie klang wie die hohle Stimme aus den Mauerlöchern weiter oben, nur lauter und kräftiger.
    Zwei Seile mit geknoteten Stegen fielen durch das Loch in der Decke. Guntram fing sie ein. Er kletterte nach oben. Jetzt würde sich zeigen, ob er frevelhaft gehandelt hatte oder nicht.

17. KAPITEL
    Aufwachen, lauschen, die Stille genießen und plötzlich erschrecken. Goetz kannte inzwischen die Reihenfolge des Psycho-Schocks. Mehrere Male hintereinander war dies geschehen, wenn er erwachte. Zuerst fühlte er sich ausgeschlafen, aber dann schlug die Wahrheit wie mit einem Hammer in seinen Magen ...
    Auch an diesem Tag wiederholte sich das Entsetzliche. Er krümmte sich unter wohlriechenden Decken zusammen. Diesmal dauerte es noch länger als sonst, bis er wußte, wo er war.
    Er schlug die seidenen Schlafdecken zurück und wankte ins Bad des Apartments von J. Samuel Bruhns.
    Der scharfe Strahl aus dem Kaltwasserhahn war warm. Es dauerte eine Weile, bis er kühler wurde. Goetz hielt seine Handgelenke ins Wasser, während er gleichzeitig in den großen Spiegel über dem Waschbecken blickte. Über Parfümflaschen, Kristallflakons und Gläsern mit Badesalzen starrte ihm ein unrasiertes, gelbgraues Gesicht mit tief in den Höhlen liegenden Augen entgegen.
    »Goetz von Coburg«, murmelte er ungläubig, »was ist bloß aus dir geworden!«
    Er beugte sich vor und hielt seinen Kopf unter den kalten Wasserstrahl. Prustend kam er wieder hoch. Jetzt starrte ihm ein nasser Seehund aus dem Spiegel entgegen.
    Goetz mußte unwillkürlich lachen. Nicht auszudenken, wenn J.S.B. ihn so gesehen hätte! Er seifte sein Gesicht ein, nahm einen altmodischen, versilberten Rasierapparat und schabte vorsichtig die Stoppeln von seinen Wangen.
    Während er sich rasierte, überlegte er, was er an diesem Sonntag tun sollte. Er dachte an die MUSE und an die sonderbare Begegnung mit den Winzlingen oben im Südturm der Kathedrale.
    Waren das alles nur Halluzinationen gewesen? Träume? Auswüchse seines Unterbewußtseins?
    Er wusch sein Gesicht, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche. Merkwürdigerweise besaß die Dusche im Bad von J. S. B. einen kleinen Extrahebel mit der geprägten Aufschrift »ABC-DEKONTAMINATION«.
    Goetz wunderte sich über soviel weise Voraussicht. Er hätte nie gedacht, daß der alte Herr in seinem privaten Lebensraum realistischer geplant hatte als in seinem betont konservativ ausgerichteten Verlag.
    Das Wasser aus der Entseuchungsleitung roch nach Chlor, Jod und anderen Chemikalien. Goetz verstand plötzlich, warum J.S.B. so viele Flaschen mit Duftstoffen angeschafft hatte. Er mußte sich sehr davor geekelt haben, eines Tages ohne ausreichende Hygiene leben zu müssen ...
    Goetz trocknete sich ab. Nackt und nur mit einem Handtuch über den Schultern ging er ins Ankleidezimmer neben dem Bad. Ohne die geringsten Skrupel wählte er feine Unterwäsche, Socken, ein braunes Oberhemd und einen dunkelgrünen Jagdanzug mit aufgesetzten Taschen. Die Sachen paßten ihm nicht, aber wenn er schon der letzte Mensch war, wollte er wenigstens noch einmal feines Tuch anlegen ...
    Im Schlafzimmer sammelte er die Dinge, die sich bisher als nützlich erwiesen hatten. Er zog die alten, gelben Gummistiefel an, dann machte er sich auf den Weg.
    Irgendwie hoffte er, an diesem Tag die kleinen Menschen wiederzusehen. Er war entschlossen, sie zu suchen.
    *
    Das Lager unter dem Rosettenfenster an der Westseite der Kathedrale erhielt das erste Sonnenlicht durch die Beryllos-Linsen. Trotzdem dauerte es lange, bis die Schander und Bankerts aufwachten. Nur

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