Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.
Kugelform des Planeten Erde erkennen. Braunrote Wolkenbänke hingen wie dichte, schmutzige Nebelringe in der Atmosphäre.
Er ging wieder tiefer. Ab und zu sah er winzige weiße Inseln in der endlosen Wasserwüste. Während der folgenden Stunden lernte er die Flugmaschine immer besser kennen. Obwohl er nicht verstand, warum etwas, das schwerer war als Luft, mühelos fliegen konnte, glaubte er daran.
Er hatte erlebt, wie hoch der große, goldene Vogel allein durch seinen Wunsch, mehr zu sehen, gestiegen war. Er hatte weder Hebel bedient, noch Tasten gedrückt oder Räder gedreht!
Das war nicht nötig. Es reichte aus, wenn er sich auf die unsichtbare Kraft im Innern der Kugel konzentrierte. Allein sein Glaube an die Kraft, die alle Urmaterie formbar machte, veränderte Richtung, Höhe und Geschwindigkeit des großen Flug-Apparates.
Er wußte, daß die fliegende Arche noch viel, viel weiter reisen konnte! So weit, daß sie Jahre brauchen würden, um wieder einen Planeten wie die Erde zu sehen ...
Guntram fürchtete sich nicht vor diesem Gedanken. Sie hatten siebenhundert Jahre in nahezu vollkommener Isolation gelebt. Und die geheimnisvolle Flugmaschine hatte Platz für alle Schander!
War das die Antwort auf den Tod der Weltlichen und das unerwartete Erscheinen der Bankerts ?
Während der goldene Vogel pfeilschnell über die leeren Wasser flog, erinnerte sich Guntram wieder an das Vermächtnis von Meister Wolfram. In einem Augenblick der Hoffnungslosigkeit hatte der Clan-Chef der Alchimisten-Familie am Überleben ihres Volkes gezweifelt. Wahrscheinlich war er aus diesem Grund kurz darauf gestorben.
Guntram überlegte, ob es nicht tatsächlich der beste Weg war, alle Schander aus dem Sakriversum zu holen und eine neue Welt zu suchen, in der sie leben konnten.
Und wenn es wiederum siebenhundert Jahre dauern sollte!
Vielleicht hatten die großen Eingeweihten im dreizehnten Jahrhundert damit gerechnet, daß die Erde eines Tages wieder wüst und leer sein könnte, wie am ersten Tag der Schöpfung.
Wer nur die Ernte feiert , der wird zum schlechten Landmann! Denn über ihrer Fülle könnte er die Mühsal einer neuen Saat vergessen ...
Guntram sehnte sich plötzlich nach Agnes.
*
Goetz lehnte sich aufatmend gegen die Mauer. Verschwitzt, naß und dreckig betrachtete er sein Werk. Er war zufrieden. In mühsamer Kleinarbeit hatte er die fußgroßen Wasserschieber mit kleinen Kurbeln wieder geschlossen.
Es hatte lange gedauert, bis die feinen, verknoteten Schnüre wieder an den richtigen Stellen eingehängt waren. Ohne Lello und Agnes hätte er es niemals geschafft!
Die beiden saßen auf dem Rand einer zwei Meter hohen und zwei Meter breiten Zisterne. Immer, wenn er nicht weiterwußte, hatten sie gemeinsam überlegt, wie die Mechanik funktionieren könnte.
Lello war dabei eine Art Dolmetscher gewesen, denn Goetz verstand nur die Hälfte von dem, was Agnes sagte.
»Das meiste Wasser ist ausgelaufen«, sagte Goetz leise. Er wußte inzwischen, daß Agnes Angst vor seiner normalen Stimme hatte. Sie klang zu laut für ihre Ohren. Er sah zu Lello. Der ehemalige Narr von König Corvay hatte ihm alles erzählt.
»Vielleicht war es doch nicht so schlecht, daß du die Wasserschieber geöffnet hast«, meinte Goetz nachdenklich.
»Fängst du schon wieder damit an?« stöhnte Lello. »Ich weiß doch, was ich angerichtet habe ...«
Goetz schüttelte den Kopf.
»In den ersten Tagen nach der Katastrophe hat es ziemlich stark geregnet. Nimm einmal an, daß auch der Regen für einige Wochen radioaktiv verseucht war. Dann war es doch auch das Wasser in diesen Behältern!«
»Ja ... und jetzt steckt das ganze Gift von draußen in den Feldern ...«
»Das stimmt nur teilweise. Das meiste Wasser ist sehr schnell nach unten abgelaufen. Die Kontamination der Felder ist nicht so schlimm wie eine monatelange Benutzung von verseuchtem Wasser! Verstehst du, was ich meine?«
»Du willst mir doch nur eine Brücke bauen«, seufzte Lello bedrückt.
»Ich weiß nicht«, sagte Goetz. Er hatte seinen ganzen Vorrat Wasserentgiftungstabletten in die Zisternen geworfen, ehe er sie verschloß. Viel würde das auch nicht nützen. Bankerts und Schander waren bereits bei ihrem Aufstieg an der Westfassade mit Spuren des unsichtbaren Todes in Berührung gekommen.
Für die Bankerts war das nicht so gefährlich. Sie hatten sich seit Jahrzehnten an die ständig zunehmende Strahlung in der Luft und in den Nahrungsmitteln gewöhnen können.
Goetz machte
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