Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
antwortete Duval. »Jeder christliche Bürger ist dazu berechtigt. Es ist sogar ein Gebot der Nächstenliebe.«
»Ausgezeichnet. Wenn niemand Einwände hat, gehen wir so vor.«
Pierre Melville lächelte. »Das Schöne daran ist, dass Bischof Ulman glauben wird, die Gilde sei plötzlich mildtätig geworden. Niemals wird er unsere Absichten durchschauen – bis wir ihm in ein, zwei Jahren unsere Forderungen auf den Tisch legen.«
Auch Michel war hochzufrieden mit dem Vorhaben. Gewalt, wie Gaspard dachte, war überhaupt nicht nötig. Es gab so viel elegantere Wege, seine Ziele zu erreichen.
»Über eine Sache haben wir noch gar nicht gesprochen«, warf Fromony Baffour ein, der bis jetzt geschwiegen hatte. »De Guillorys Zollbrücke. Sie ist das größte Übel für den Handel, mehr noch als der Salzpreis und der Marktzoll.«
»Wahrhaftig, da habt Ihr recht«, murmelte Fabre, und die anderen Kaufleute nickten düster. »Aber was sollen wir gegen die verdammte Brücke unternehmen? Sie liegt nicht auf dem Stadtgebiet und damit außerhalb unseres Einflusses.«
»Warum bauen wir keine eigene Brücke?«, fragte Baffour zögernd.
Michel hob eine Augenbraue. Dass solch ein Vorschlag ausgerechnet vom größten Schwarzseher der Gilde kam, erstaunte ihn. Entdeckte der Mann womöglich gerade seinen Mut?
»Wir haben darüber schon einmal gesprochen – Jahre, bevor Ihr Schwurbruder wurdet«, erwiderte Charles Duval. »Zwischen Fischmarkt und Nordtor gab es früher eine Brücke; ich glaube, aus der Zeit der Römer. Man kann immer noch die Überreste im Flussbett sehen. Wir haben damals darüber nachgedacht, sie neu aufzubauen und von dort aus eine Straße zur Saline anzulegen, denn dann hätte de Guillory keine Möglichkeit mehr, den Salzhandel mit Zöllen zu belegen. Schließlich liegt die Saline im Gegensatz zur Brücke nicht auf seinem Land.«
»Warum wurde nichts daraus?«, fragte Michel.
»Weil Géroux und seine Leute dagegen waren. Sie wollten es sich nicht mit der Familie de Guillory verscherzen.«
»Natürlich.« Michel verzog den Mund. »Warum frage ich überhaupt?«
»Aber jetzt hat der alte Géroux nichts mehr zu sagen«, erklärte Fabre entschieden. »Lasst uns diese Brücke bauen!«
Michel sah nichts als entschlossene Gesichter. Der Vorschlag begeisterte alle. »Euch ist klar, dass wir uns damit de Guillory zum Feind machen.«
»Und wenn schon«, knurrte Fabre. »Was soll er dagegen tun? Schlimmer als jetzt kann es nicht werden.«
Lediglich Duval schien Zweifel zu hegen. »Bitte verzeiht, aber ich muss schon wieder Bedenken äußern. Eine Brücke ist teuer – sehr teuer sogar. Wer soll den Bau bezahlen?«
»Einen Teil der Kosten können wir aus der Gildekasse aufbringen«, antwortete Michel. »Den Rest übernehmen wir.«
»Das wird jeden von uns ein Vermögen kosten.«
»Gewiss. Aber denkt an das viele Geld, das ihr sparen werdet, wenn ihr nie mehr Brückenzoll zahlen müsst.«
»Gut«, meinte Duval. »Aber da wäre noch etwas. Bischof Ulman wird nicht dulden, dass die Gilde eigenmächtig eine Brücke baut. Zwar kann er uns das streng genommen nicht verbieten, da meines Wissens in den Regalien nicht eindeutig geregelt ist, wer in Varennes Brücken errichten darf …«
»Es wäre doch in seinem eigenen Interesse«, fiel Fabre ihm ins Wort. »Es würde das Salz aus seiner Saline billiger und damit begehrter machen.«
»Das ist richtig«, stimmte Duval zu. »Aber es wäre ein weiterer Gesichtsverlust für ihn, den er nach dem heutigen Vorfall keinesfalls hinnehmen wird.«
»Es muss uns also gelingen, seine Zustimmung für den Brückenbau zu bekommen«, sagte Michel.
»Ich fürchte, daran führt kein Weg vorbei.«
»Wie können wir ihn überzeugen?« Michel lehnte sich zurück und betrachtete die Malereien an der Saaldecke. »Jeder Mann hat mindestens eine Schwäche, die ihn angreifbar macht«, dachte er laut nach. »Was ist Bischof Ulmans größtes Laster …?«
Der Diener führte Michel die Treppe hinauf und einen kurzen Gang entlang, klopfte an einer Tür und öffnete sie. »Herr de Fleury, der neue Gildemeister, möchte Euch sprechen, Exzellenz.«
»Tatsächlich«, erklang die Stimme des Bischofs. »Nur der Herr kann ermessen, wie sehr mich dies beglückt. Nun lass ihn schon eintreten, bevor er noch beschließt, in meinem Palast Wurzeln zu schlagen.«
Michel betrat die Schreibstube. Ulman thronte hinter einem mächtigen Tisch aus dunklem Holz, unter einem silbernen Kruzifix an der Wand, und
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