Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Stadtherrn.
»Ich behalte die Pläne hier, um sie in Ruhe zu studieren«, sagte der Bischof. »Kommt morgen wieder, und dann teile ich Euch meine Entscheidung mit.«
»Gewiss, Exzellenz.« Michel verneigte sich.
Kurz darauf verließ er den Palast. Draußen wartete Jean auf ihn.
»Und, was hat er gesagt?«, erkundigte sich sein Bruder, als sie den Domplatz überquerten.
Michel lächelte selbstzufrieden. Dass sich Ulman einen Tag Bedenkzeit erbeten hatte, lag allein daran, dass er fürchtete, nachgiebig und wankelmütig zu wirken, wenn er dem Bau allzu rasch zustimmte. In Wirklichkeit hatte er seine Entscheidung längst getroffen. Dieser Statue konnte er unmöglich widerstehen.
»Wir bekommen unsere Brücke«, sagte Michel.
Michel behielt recht: Als er am nächsten Tag in den Palast gerufen wurde, erteilte Bischof Ulman der Gilde die Erlaubnis, eine Brücke über die Mosel zu errichten.
Eine Woche später begannen die Arbeiten.
September und Oktober 1187
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
D ie Wochen vergingen; aus dem Spätsommer wurde Herbst. Michel ließ die Gilde mindestens zweimal im Monat zusammentreten, manchmal gar einmal pro Woche, wenn genug Schwurbrüder in der Stadt waren, denn es gab viel zu tun. Für den Brückenbau mussten Material gekauft und Steinmetze, Zimmerleute und Maurer angeworben werden. Aus Nancy holte die Gilde einen erfahrenen Baumeister, der die Arbeiten leitete. Auch die anderen Vorhaben der Gilde waren mühsam und verschlangen viel Zeit.
Es dauerte nicht lange, bis Jaufré Géroux und seine Leute wieder zu den Zusammenkünften kamen. Michel vermutete, dass Bischof Ulman dahintersteckte – vermutlich hatten die Ministerialen den Auftrag bekommen, ihn umgehend über alle wichtigen Beschlüsse in Kenntnis zu setzen. Auch Gaspard und seine Anhänger nahmen kurz nach der Wahl wieder an den Versammlungen teil – doch nicht, weil er Michel verziehen hatte, ganz im Gegenteil. Genau wie Géroux machte er Ärger, wo er nur konnte. Während die Ministerialen verhindern wollten, dass das Geld aus der Gildekasse dafür verwendet wurde, neue Backöfen zu bauen, die Brunnen zu erneuern und die Straßen zu säubern, schlug Gaspard eine gänzlich andere Strategie ein. Es zeigte sich, dass er die neuen Vorhaben der Gilde grundsätzlich für sinnvoll hielt, und er war trotz seines Grolls auf Michel vernünftig genug, sich nicht gegen sie zu stellen. Da er Michel aber dennoch schaden wollte, verlegte er sich bald darauf, ihre Ausführung zu kritisieren, in der Hoffnung, damit Schwurbrüder, die es ähnlich sahen, für sich zu gewinnen.
Beispielsweise war Gaspard mit dem Brückenbau nicht einverstanden. Um die Gildekasse und ihre eigenen Geldbeutel zu schonen, hatten Michel und seine Anhänger beschlossen, die Brücke hauptsächlich aus Holz zu errichten. Gaspard hingegen bestand auf einer Steinbrücke, denn Holzbrücken seien, wie er sagte, nicht sehr robust und könnten abbrennen oder einem Hochwasser zum Opfer fallen. Durchsetzen konnte er sich damit jedoch nicht, denn die Schwurbrüder scheuten die hohen Kosten einer reinen Steinkonstruktion.
Auch alle anderen Angriffe konnte Michel abwehren, ob sie nun von Gaspard kamen oder von Géroux: zum einen, weil seine Anhängerschaft stärker war als die seiner Gegner; zum anderen, weil das Amt des Gildemeisters ganz seinen Talenten entsprach. Wo andere Menschen angesichts der Schwierigkeit einer Aufgabe verzweifelten, blühte er auf – wo seine Freunde vor einem Hindernis den Mut verloren, erkannte er neue Möglichkeiten. Inzwischen hatte sich ihm sogar Thibaut d’Alsace angeschlossen, überzeugt von Michels Geschick, obwohl er bei der Wahl des Gildemeisters noch für Géroux gestimmt hatte.
Und so baute die Gilde neue Backöfen und kümmerte sich um die Brunnen. Ein Gerber wurde eingestellt und mit der Aufgabe betraut, gemeinsam mit dem städtischen Dreckmeister, der seine Arbeit wegen des geringen Lohns mehr schlecht als recht ausführte, die Straßen sauber zu halten, Tierkadaver wegzuschaffen und regelmäßig die öffentlichen Sickergruben zu reinigen. All diese Neuerungen stießen bei den Bewohnern Varennes’ auf große Zustimmung, und sie dankten es der Gilde mit kleinen Geldspenden.
Obwohl ihm seine Pflichten als Gildemeister einiges abverlangten, gelang es Michel, im Herbst sein Geschäft voranzubringen. Ende September, als der Brückenbau zum größten Teil geregelt war, reisten Jean und er zur Sankt-Aigulf-Messe in Provins und drei Wochen
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