Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
Vom Netzwerk:
Häusern und Werkstätten, um Maulaffen feilzuhalten und dem Paar auf dem Wagen anzügliche Bemerkungen zuzurufen. Spielleute begleiteten den Zug mit albernen Liedern, Gaukler jonglierten mit Fackeln, der Wein floss in Strömen, kaum dass die Menge den Kirchhof verlassen hatte. So dauerte es nicht lange, bis die ersten Gäste beschwipst waren und sich mit roten Gesichtern in den Armen lagen. Isabelle beneidete sie über alle Maßen. Sie hätte sich auch gerne hemmungslos betrunken; das hätte das, was noch vor ihr lag, gewiss erträglicher gemacht oder ihr wenigstens den nötigen Gleichmut verschafft. Aber sie war die Braut, und von der Braut erwartete man würdevolle Eleganz, was in ihrem Fall bedeutete: stocksteif dazusitzen und so zu tun, als ginge sie das alles nichts an. Dass sie kein einziges Mal lächelte, schien niemanden zu stören, nicht einmal Chastain, der vor lauter Aufregung ständig nach dem Weinschlauch rief.
    »Ich bin der glücklichste Mann der Stadt!«, brüllte er mit schriller Stimme und wäre dabei vom Wagen gefallen, wenn Aubry ihn nicht im letzten Moment festgehalten hätte.
    Als sie den Domplatz erreichten, verabschiedete sich Michel von Catherine, Duval und Melville, entließ die Söldner und fuhr den Ochsenwagen zu seinem Haus. Thérese, die gerade die Hofeinfahrt fegte, kam ihnen entgegen, einen fröhlichen Gruß auf den Lippen.
    »Schön, dass Ihr wieder da seid, Herr. Ich hoffe, die Reise hat sich gelohnt.«
    »Sei so gut und hol Foulque, damit er Louis mit dem Wagen hilft.« Michel sprang herunter und spähte am Dom vorbei die Straße hinauf. Gerade bog ein lärmender Festzug in die Rue des Teinturiers am Kanal ein. »Wer feiert da?«
    »Hernance Chastain und Isabelle Caron heiraten heute«, erklärte Thérese.
    Dreimal, viermal schlug sein Herz, ehe er seine Sprache wiederfand. »Ich dachte, sie heiraten erst im August.«
    »Nein, schon heute. Herr Chastain und Herr Caron haben die Vermählung vorverlegt.« Die Magd lief davon.
    »Kümmere dich um alles«, befahl Michel Louis knapp und eilte über den Domplatz. Das kann nicht sein, dachte er. Das kann einfach nicht sein.
    Als er zur Rue des Teinturiers kam, näherte sich der Brautlauf gerade Chastains Haus, das vom Erdgeschoss bis zum Dach mit Blumen und bunten Bändern geschmückt war. Michel schob sich an Gästen, Musikanten und Gauklern vorbei zur Spitze des Festzuges. Isabelle saß neben dem angetrunkenen Chastain auf einem Zweispänner. Als sie ihn erblickte, weiteten sich ihre Augen.
    »Was willst du hier?«, blaffte Gaspard, der aus der Menge auf ihn zustürzte. »Niemand hat dich eingeladen. Na los, verschwinde.«
    »Jetzt habt Euch nicht so, Caron«, mischte sich Isoré Le Roux ein. »Hernance hat die ganze Gilde eingeladen.«
    Auf dem Wagen flüsterte Isabelle dem Tuchhändler etwas ins Ohr. Chastain wandte den Kopf, und sein Grinsen wuchs in die Breite.
    »Herr de Fleury! Wie schön, dass Ihr es noch rechtzeitig geschafft habt. Feiert mit uns. Wein für den Gildemeister!«, brüllte er.
    Jemand drückte Michel einen Krug in die Hand. Währenddessen hatte Gaspard Verstärkung von seinen Busenfreunden Baudouin, Pérouse und Vanchelle bekommen, die Michel finster anstarrten.
    »Ich will nicht, dass er hier ist«, sagte Gaspard zu Chastain. »Ich bitte Euch, Hernance – schickt ihn weg.«
    »Seid doch nicht so verbittert, Schwager«, rief der Tuchhändler leutselig. »Heute ist ein Freudentag, und ich möchte, dass alle glücklich sind und ihren alten Zwist vergessen. Kommt, reicht einander die Hand und trinkt auf unser Wohl.« Ungeschickt und mit der Hilfe seines Bruders stieg er vom Wagen und führte Isabelle zum Haus. Bevor sie durch die Tür trat, schaute sie sich noch einmal zu Michel um. Hilf mir, flehte ihr Blick.
    Nun drängten auch die Gäste ins Haus. Wein schwappte auf sein Gewand, als Michel von schwitzenden Leibern eingeschlossen und mitgerissen wurde.
    Was sich im Gesellschaftssaal abspielte, war kein Vermählungsfest – es war eine Orgie, ein Exzess, eine Schlacht. Knechte trugen das Mahl auf, und die Gäste fielen wie ausgehungerte Tiere über Fleisch, Fisch, Brot und Gemüse her. Die Mägde kamen gar nicht nach, die Kelche zu füllen, so gierig stürzten Männer wie Frauen den Würzwein hinunter. Bald glänzten Bärte fettig, Wangen glühten rot, Augen wurden zusehens trüb. Nicht nur die Familien, ihre Nachbarn und Freunde feierten auf Chastains Kosten, auch zahlreiche Leute von der Straße, die sich einfach

Weitere Kostenlose Bücher