Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
In das Hühnergackern mischte sich der ferne Lärm der Stadt.
Irgendwann kam jemand herein.
»Herr!«, rief Louis. Auf eine Krücke gestützt, hinkte der junge Knecht zum Bett und setzte sich auf die Kante.
»Durst«, brachte Michel flüsternd hervor.
»Ich helfe Euch, Herr«, erklärte Louis eifrig und setzte den Krug an seine Lippen. Das kühle Wasser war eine Wohltat.
»Ihr habt tagelang mit dem Tod gerungen. Ich danke Gott und allen Erzengeln, dass es Euch endlich besser geht. Der Medicus hat wahrlich ein Wunder vollbracht.«
»Ja«, wisperte Michel. Er versuchte ein Lächeln, bevor abermals die Schatten nach ihm griffen.
Als er das dritte Mal aufwachte, machte sich jemand an seiner Brust zu schaffen.
Blinzelnd öffnete Michel die Augen. Ein Fremder. Ein Medicus, nach dem Gewand zu urteilen. Er hatte den Verband entfernt und tupfte ein Elixier auf die Stichwunde. Neben dem Bett standen Louis, auf seine Krücke gestützt, und Catherine Partenay, die sich bekreuzigte.
»Wo bin ich?«, krächzte Michel. Warum hatte er nur solchen Durst?
»In meinem Haus.« Catherine lächelte ihn mit Tränen in den Augen an.
Er wollte sie mit tausend Fragen bestürmen, doch der Medicus befahl ihm, nicht zu sprechen, während er den Verband erneuerte.
»Er kann von Glück sagen, dass das Messer seine Lunge verfehlt hat. Sonst wäre er jetzt tot«, erklärte der Arzt Catherine, als er fertig war. »Aber er ist noch nicht außer Gefahr. Seine Säfte sind im Ungleichgewicht. Die Wunde muss regelmäßig gereinigt werden. Wenn sie rasch verheilt, wird er leben. Entzündet sie sich, werde ich ihn nicht retten können. Er ist sehr schwach und muss bald zu Kräften kommen. Achtet deshalb darauf, dass er so viel trinkt und isst, wie sein Zustand es zulässt. Ich sehe morgen wieder nach ihm.«
Nachdem der Medicus gegangen war, setzten sich Louis und Catherine ans Bett.
»Wie lange … war ich ohnmächtig?«, brachte Michel hervor.
»Ihr habt den Medicus gehört«, sagte Catherine. »Zuerst müsst Ihr tüchtig essen und trinken.«
Louis setzte ihm wieder den Krug an die Lippen. Kurz darauf kam eine Magd herein und brachte heiße Eiersuppe. Louis fütterte ihn geduldig mit dem Löffel. Beim köstlichen Duft der Suppe zog sich Michels Magen zusammen, so hungrig war er. Er aß die Schüssel leer, obwohl ihm das Schlucken schwerfiel und Schmerzen bereitete.
Danach überkam ihn bleierne Müdigkeit. Doch er wollte noch nicht schlafen. Zuerst musste er wissen, was geschehen war. »Mein Arm und mein Bein … die Schienen«, begann er.
»Ihr habt sie Euch gebrochen«, antwortete Catherine, »als Louis mit Euch aus dem Fenster sprang.«
»Ich wusste nicht, was ich tun sollte«, erklärte der Knecht, als Michel ihn fragend anblickte. »Wir wären verbrannt, wenn ich nicht gesprungen wäre.«
»Ohne Louis wärt Ihr in jener Nacht gestorben«, fügte die Kauffrau hinzu. »Ihr schuldet ihm Euer Leben.«
Michel griff nach Louis’ Hand. »Hab Dank, mein Freund.«
»Das genügt jetzt.« Catherine stand auf. »Ihr solltet schlafen.«
»Mein Haus …«
»Später.«
Louis und die Kauffrau gingen und ließen ihn allein mit seinen Fragen.
Auch während der nächsten Tage weigerten sich Louis und Catherine, ihm zu berichten, was nach ihrem Sprung aus dem Fenster geschehen war. Für seine Fragen sei später noch Zeit, sagte sie, seinen Protest ignorierend. Seine Genesung sei jetzt wichtiger.
Michel wusste lediglich, dass er seit gut einer Woche im Bett lag und Catherine für den Medicus aufkam. Was sein Haus und seinen gesamten Besitz betraf, konnte er nur Vermutungen anstellen. Dass Catherine und Louis darüber nicht sprechen wollten, verhieß nichts Gutes.
Er war immer noch sehr schwach. Die meiste Zeit des Tages schlief er. Wenn er wach war, dachte er an Isabelle, fragte sich, wo sie steckte, ob es ihr gut ging.
Ob sie von dem Anschlag auf sein Leben gehört hatte?
Warum?, fragte er sich immerzu. Warum hat Foulque das getan? Es ergab einfach keinen Sinn. Aristide de Guillory und Bischof Ulman hatten ihn doch besiegt. Warum sollte ihnen an seinem Tod gelegen sein?
Ich habe ihn erstochen. Ich habe einen Menschen getötet.
Nie zuvor hatte Michel ein Leben genommen, nicht einmal während der Fehde. Er verspürte keine Reue deswegen. Foulque war vermutlich nicht zum ersten Mal dafür bezahlt worden, einen Mann zu ermorden. Die Welt war ohne ihn ein besserer Ort.
Einmal täglich kam der Medicus, erneuerte den Verband, verabreichte ihm
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