Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
sank.
Stille erfüllte den Keller. Niemand bewegte sich. Lange stand Gaspard da und starrte den reglosen Körper an. Der Hass, der ihn eben noch beherrscht hatte, war verschwunden, ebenso jedes andere Gefühl. Sein Körper, sein Geist, alles schien taub zu sein, wie abgestorben. Wie von fremden Kräften gelenkt, machte er einen Schritt nach vorne und hob seinen Dolch auf.
»Es ist vorbei«, sagte er. »Vorbei.«
Später wusste Michel nicht mehr, was genau in den Minuten nach Ulmans Tod geschehen war. Er hatte Gaspard angebrüllt, alle hatten gebrüllt, Poupart hatte weinend neben der Leiche gekniet und »Mörder! Mörder!« geschrien. Als er wieder klar denken konnte, saß er allein in seiner dunklen Zelle. Später kamen Pérouse und Vanchelle herein und legten ein längliches Bündel auf den Boden.
Ulmans Leiche, in ein schmutziges Tuch eingehüllt.
Michel saß stocksteif da und starrte den Toten an. Tief in seinem Innern hatte er immer gewusst, dass es eines Tages so kommen würde. Er wusste es seit jenem Abend, als Gaspard ihn in seinen verhängnisvollen Plan eingeweiht hatte – und doch erschienen ihm die Ereignisse der vergangenen Stunde einfach unfassbar.
Er wagte nicht zu beten. In solch einer Lage den Himmel um Beistand zu bitten, hätte den Herrn beleidigt.
»Gaspard! Gaspard, wach auf!«
Er fuhr zusammen, als jemand ihn an der Schulter rüttelte. Trotz der Kälte schwitzte er, und die Kleider klebten an seiner Haut. Er atmete schwer, noch ganz gefangen in seinem Albtraum. Blut, überall. Er hatte Bischof Ulman getötet, ihm das Messer in den Leib getrieben … Verwirrt blinzelte er die Gestalt an, die vor ihm stand.
»Poupart ist verschwunden«, sagte Ernaut.
Er war nicht in seinem Haus, begriff er, er war in seinem Lagerschuppen, im Keller. Gaspard schüttelte die Decke ab, stand benommen auf und griff nach dem Krug auf dem Kistenstapel. Er nahm einen tiefen Schluck und spülte den üblen Geschmack in seinem Mund hinunter. Als er den Krug absetzte, fiel sein Blick auf die verriegelte Tür und den rostroten Fleck davor auf dem Boden. Es war kein Traum. Er legte die Hand auf die Kisten, denn er verspürte plötzlich das Bedürfnis, sich festzuhalten.
»Hast du mich gehört?«, fragte Ernaut. »Poupart ist weg.«
»Wo ist er hin?«
»Keine Ahnung. Er wollte oben nach dem Rechten sehen. Danach war er fort.«
Nach und nach fiel ihm alles wieder ein: das um sich greifende Entsetzen nach seiner Tat, Pouparts Vorwürfe, ihr erbitterter Streit. Seine verzweifelten Versuche, eine Panik zu verhindern und seine Gefährten zu beruhigen. Er hatte erwogen, Poupart einzusperren, damit er keine Dummheiten machte, sich aber dagegen entschieden. Der Mann war schließlich immer noch einer von ihnen, hatte ihnen Brudertreue geschworen. »Wir müssen ihn suchen.«
»Zu gefährlich«, sagte Stephan, der mit Raoul und Chastain zu ihnen trat. »In den Straßen wimmelt es von Bütteln.«
Gaspard fluchte leise.
»Ich hab’s euch gesagt«, knurrte Stephan. »Diesem Kerl ist nicht zu trauen. Wir hätten ihn nicht einweihen dürfen.«
»Das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Wichtig ist, dass wir ruhig bleiben. Kann ich noch auf euch zählen?«
Die Gesichter seiner Freunde waren blass, aus ihren müden Augen sprach Furcht. Dennoch nickten alle, sogar Ernaut. Chastain sowieso. Die Ereignisse der letzten Stunden und ihre gefährliche Lage schienen ihn nicht zu kümmern. Seit Isabelles Verrat war dem Mann einfach alles egal.
»Gut«, sagte Gaspard. »Ich gehe zum Schöffenkollegium und verlange, dass die Ministerialen ihre Waffen niederlegen, den Bischofspalast räumen und uns die Stadt übergeben. Bis sie herausfinden, dass Ulman tot ist, haben wir die Büttel und alle wichtigen Ämter in unsere Gewalt gebracht.«
»Und wenn Poupart uns vorher verrät?«, fragte Raoul.
»Die Gefahr besteht. Deshalb müssen wir schnell handeln.«
»Sollten wir uns nicht zuerst ein anderes Versteck suchen?«, schlug Stephan vor. »Am besten eines außerhalb der Stadt.«
»Ist es noch dunkel?«
Ernaut schüttelte den Kopf. »Es wird gerade hell.«
»Bei Tag können wir den Keller nicht verlassen. Wir müssen bis zur Nacht warten.«
»Hoffentlich haben wir noch so viel Zeit«, meinte Raoul.
»Ich glaube nicht, dass Poupart uns verrät«, sagte Gaspard. »Er hat uns sein Wort gegeben. Er hatte einfach Angst.« Er griff nach seinem Mantel und schritt zur Treppe. »Wünscht mir Glück.«
»Ist das wahr?«, fragte Tancrède Martel.
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