Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Exzellenz«, erklärte sein Leibdiener.
»Ich bin nicht krank. Nicht einmal Schnupfen habe ich.«
»Aber Ihr könntet jederzeit welchen bekommen, bei dieser Kälte. Der kluge Mann beugt vor.«
»Der Herr hat mich mit unverwüstlicher Gesundheit gesegnet, Grimald. Das solltest du doch allmählich wissen.«
»Es schadet nicht, dem Allmächtigen gelegentlich die Arbeit zu erleichtern. Nun trinkt, Exzellenz, bevor der Aufguss kalt wird.«
Johann unterdrückte ein Lächeln und nahm einen Schluck. Die Welt wäre aus den Fugen, wenn Grimald, die alte Glucke, sich einmal nicht um seine Gesundheit sorgte. Während er trank, schürte der Diener das Feuer, damit sein Herr ja nicht fror, während er seine Schreibarbeit erledigte.
Es klopfte. Grimald schritt zur Tür, wechselte einige Worte mit der Palastwache und kam mit einem versiegelten Brief zurück. »Eine Nachricht aus Varennes-Saint-Jacques, Exzellenz. Von Jaufré Géroux.«
»Dem städtischen Münzmeister?«
Grimald nickte und überreichte ihm den Brief. Johann dachte gern an seinen kurzen Urlaub in Varennes zurück, insbesondere an die angenehmen Stunden, die er in Géroux’ Haus verbracht hatte. Rasch brach er das Siegel. Der Brief war sehr kurz. Sein Inhalt erschütterte ihn über alle Maßen.
»Schlechte Nachrichten?«, fragte Grimald besorgt.
»Bischof Ulman«, sagte Johann mit erstickter Stimme. »Sie haben ihn ermordet.«
Sein Leibdiener erbleichte und schlug ein Kreuz.
Johann fuhr auf und bemerkte nicht, dass er dabei den Becher umstieß und den Salbeiaufguss über ein Dokument vergoss. Er stemmte die Hände auf die Tischplatte, während ihm das Herz in der Brust wummerte. Es dauerte lange, bis er seine Stimme wiederfand.
»Diese Frevler«, brachte er hervor. »Dafür werden sie bezahlen. Bezahlen werden sie.«
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
W enige Tage vor Weihnachten traf Erzbischof Johann mit einem hundertköpfigen Gefolge aus Priestern, Soldaten und Rechtsgelehrten in Varennes-Saint-Jacques ein und bezog im Bischofspalast Quartier. Keine Stunde nach seiner Ankunft bestellte er sämtliche Männer des Schöffenkollegiums ein, hörte ihren Bericht und begann, die Vorfälle um den Tod seines Freundes Ulman akribisch zu untersuchen.
Währenddessen regierte in der Stadt die Furcht. Es ging das Gerücht, Johann werde ein Interdikt über Varennes verhängen, um die Bewohner für die frevelhafte Tat in ihrer Mitte zu bestrafen. Einige reiche Bürger dachten bereits darüber nach, das Bistum zu verlassen, um dieser schrecklichen Kirchenstrafe zu entrinnen. Doch der Erzbischof ließ sich nicht von seinem Rachedurst leiten. Mit kühlem Verstand machte er sich ein Bild von jenen drei Tagen zwischen Ulmans Entführung aus dem Kloster Notre-Dame-des-Champs und der Kapitulation der Mörder. So galt sein Streben nach Vergeltung und Gerechtigkeit allein den Schuldigen Gaspard Caron, Hernance Chastain, Ernaut Baudouin, Stephan Pérouse, Milon Poupart und ihren Hausbedienten.
Kurz nach den Weihnachtsfeiertagen, an einem frostigen Wintertag, wurden die Männer auf dem Viehmarkt vor Gericht gestellt. Trotz der schneidenden Kälte wohnten fast zweitausend Menschen dem Prozess bei. Der Reihe nach traten Tancrède Martel, Jaufré Géroux und die anderen Männer des Schöffenkollegiums an den Reliquienschrein mit den Gebeinen des heiligen Jacques und wiederholten unter Eid ihre Aussagen. Anschließend führten die Stadtbüttel die Täter vor, die man abermals in Ketten gelegt hatte. Kaufleute und Knechte gleichermaßen knieten im Schnee.
Als Johann sich schließlich erhob, herrschte Totenstille auf der weiten Wiese.
»Hört mein Urteil«, sagte der Erzbischof. »Vor Gott und den Heiligen befehle ich Tancrède Martel, Schultheiß von Varennes-Saint-Jacques, den Lagerschuppen in der Unterstadt zu zerstören, damit der Ort der frevelhaften Bluttat vom Angesicht der Welt getilgt wird.
Es steht außer Frage«, fuhr er fort, »dass dieses abscheuliche Verbrechen in der Kaufmannsgilde seinen Anfang genommen hat. Deshalb ist es meine heilige Pflicht, Bischof Ulmans Verbot der Gilde zu erneuern und zu bekräftigen. Niemals wieder dürfen die Kaufleute von Varennes-Saint-Jacques einander Treue und Beistand schwören, denn die vergangenen Jahre haben bewiesen, dass ihre Bruderschaft allzu leicht zu einem Hort von Verschwörung und Verrat wird.«
Johann wandte sich an die Knechte, die links vor den Gerichtsbänken knieten. »Ihr habt euren Herren geholfen, Bischof Ulman bei
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