Das Salz der Mörder
Deiner Hand. Ich bin an
meinem Leben nicht schuld, ich bin unschuldig. Du hast mich doch in diese
verrückte Welt gestoßen. Weswegen, frage ich Dich, lädst Du mir so viel Schuld
auf?
Im
Koran steht: Wenn Gott Gutes will, dann prüft er mit Leid. Ich bin so vermessen
und möchte es endlich wissen: Lässt Du wirklich die ganze friedliebende
Menschheit leiden, weil Du Gutes willst?
Salz ist von den
reinsten Eltern geboren, der Sonne und dem Meer. (Pythagoras)
57. Tante Lisa
Das
Anwesen lag südwestlich von München. Gut zwei Stunden dauerte die Fahrt von der
Innenstadt, denn es gelang dem Fahrer nicht auf den vereisten und mit Neuschnee
verwehten Straßen diesen verdammten Schneepflug zu überholen, der gerade heute
Abend mit einer unzulässigen Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h in Richtung
Starnberg vor sich hin tuckerte.
Als
die Dame und ihr Chauffeur schließlich die hinter eingeschneiten Bäumen
verdeckte Einfahrt zur Villa erreicht hatten, war das unaufhörlich blinkende
Räumfahrzeug längst außer Sichtweite und schob die weiße Flockenpracht
womöglich zurück in Richtung München. Noch immer rieselte der Schnee wie durch
ein Sieb auf die abendliche Landschaft. Er rieselte leise, aber unaufhörlich.
Nachdem
die unbekannte Frau in dem auffälligen roten Wintermantel über die
Wechselsprechanlage ihren Namen nannte, setzte sie sich wieder in den Fond des
Wagens und wartete. Elektronisch wurde das schwere Eisentor geöffnete, das
geräuschlos hinter einer Granitmauer verschwand. Die Auffahrt zum Grundstück
war durch mannshohe Laternen hell erleuchtet. Aus einem Zwinger bellten
Wachhunde.
Der
Fahrer stoppte den schwarzen Benz vor der großen Freitreppe des Gebäudes, auf
der vier überdimensionale Säulen den Eingang zu den Empfangsräumen der Familie
Aichinger bildeten. Ein Diener in Livree öffnete die hintere Wagentür, und die
Dame im roten Mantel stieg graziös aus der warmen Limousine.
„Guten
Abend, Frau Gräfin. Wenn Sie mir bitte folgen würden“, sagte Friedrich, einer
der vier oder fünf ständig anwesenden Bediensteten. Friedrich also, führte die
Fremde in einen der festlich geschmückten Säle, in dem ein spürbarer Duft für
die zu erwartenden kulinarischen Speisen des heutigen Abends schwebte, dessen
Annehmlichkeiten und Extravaganzen man erahnen konnte und nur wenigen
Auserwählten der hiesigen Gesellschaft zugänglich sein werden.
„Bitte,
hier entlang, gnädige Frau.“ Der Diener half ihr routiniert beim Ablegen des
auffälligen Mantels.
„Der
junge Herr wird sofort zur Verfügung stehen. Darf ich Ihnen inzwischen eine
kleine Erfrischung servieren, Frau Gräfin?“
Die
Gräfin verneinte. Sie nahm auf einem der Chippendalestühle Platz und sah sich
in diesem herrschaftlichen Raum um. Sie ließ den Blick über all die
Kostbarkeiten schweifen: über das Porzellan und die antiken Kerzenleuchter, die
auf mit belgischen Spitzentischtüchern eingedeckten Tafeln standen; betrachtete
die imposanten Ölgemälde, die vom sachkundigen Urteilsvermögen des Sammlers
zeugten, und musterte mit geübtem Auge das kostbare Mobiliar. Majestätisch
funkelten die Champagnergläser und das erlesene Kristall im Schein der
festlichen Lichter. Es verging einige Zeit. Sie erinnerte sich an ihre
Kindheit. In jenen Tagen hatte sie ähnlichen Prunk wie diesen gesehen, doch
niemals für sich in Anspruch nehmen dürfen. Ihr strenger Herr Vater hätte es
nicht gestattet, dass die nichteheliche Tochter möglicherweise seinen ehelichen
Frieden stört. Elisabeth, Rufname Lisa, wuchs bei ihrer Mutter, dem
Dienstmädchen Clara Radtke, in der, wie es Vater Funke fortwährend nannte,
„Mädchenkammer“ auf. Lisa konnte sich nicht entsinnen, ein einziges Wort mit
ihrem autoritären Erzeuger gewechselt zu haben - im Gegensatz zu ihrer älteren
Stiefschwester Margot, denn sie war ja die „richtige“ Tochter von diesem Mann.
Die schweigsame Ehefrau des Vaters beachtete das kleine Mädchen ebenso wenig.
Diese Kindheitseindrücke prägten sie. Ihre Mutter starb bei der Entbindung
eines zweiten Kindes, das ihr dieser geile alte Bock in irgendeiner dunklen
Ecke seines imposanten Hauses einspritzte. Auch der Säugling stirbt, ebenfalls
ein Mädchen, zwei Stunden nach der Geburt. Nach dem Tod des Vaters und der
Mutter erbt Margot ein großes Anwesen an der Nordsee und ein beträchtliches
Barvermögen. Margot muss sich nun um die siebenjährige Elisabeth kümmern. Lisa
akzeptiert die ältere Schwester als Mutter und
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