Das Salz der Mörder
plötzlich den Stottinger ums Haus schleichen. Er läuft in gebückter
Haltung zwischen den übergroßen Fenstern hin und her. Sichtlich nervös
belauscht er, was drinnen vor sich geht. Ich verstecke mich hinter einer
schneebedeckten Tanne und warte darauf, was passieren wird. Es dauert nicht
lange - es war um halb sieben, Stottinger verschwindet aufgeregt durch das
offene Gartentor -, da geht die Tür auf und ein Diener führt den
Aichinger-Schwiegersohn und eine Dame in einem aufsehenerregenden roten
Wintermantel unter einem Regenschirm zum Wagen. Es schneite unaufhörlich. Ich
war vollkommen durchnässt und durchgefroren. Gegessen hatte ich bis zu diesem
Zeitpunkt auch noch nichts.“
„Kommen
Sie zur Sache, Möller. Ich will nicht wissen, ob Sie gefroren haben oder sich
hungrig fühlten. Dafür haben wir jetzt keine Zeit.“
„Ja,
ja. Jedenfalls steigen die beiden in diesen Benz ein. Stottinger beobachtet
alles von draußen, unbemerkt im Schatten der haushohen Gartenmauer. Während das
Auto langsam durch die Ausfahrt in die Straße einbiegt, reißt der Stottinger
die rechte, hintere Wagentür auf und springt wie ein Wahnsinniger in die
schwarze Limousine. Der Daimler stoppt, steht einige Sekunden, fährt dann aber
fluchtartig davon. Ich hatte zu tun, dass ich zu meinem schrottreifen Fahrzeug
kam. Ich wollte sie ja schließlich nicht aus den Augen verlieren. Ob der
Hausdiener mich sah, weiß ich nicht. Es war dunkel, nur die Auffahrt wurde von
Laternen beleuchtet. Ich bin wie ein Verrückter über den verschneiten Rasen bis
zum Eingangsportal gerannt und wäre dabei fast in einen abgedeckten
Swimmingpool gestürzt. Womöglich hat der Butler am nächsten Morgen meine
Fußspuren im Schnee entdeckt, wenn sie bis dahin nicht wieder zugeschneit
waren. Ich hatte Glück. Es war wenig Verkehr um diese Zeit und ich nehme ohne
Mühe die Verfolgung auf. Die Nobelkarosse konnte man ja kaum übersehen. Wir
fahren zurück nach München. An einem Hotel am Hauptbahnhof parken sie. Sie
steigen aus und verschwinden in der Empfangshalle. Ich platziere mein Auto
genau neben dem Benz, denn ich konnte keine andere Parklücke weit und breit
ausfindig machen. Das war gegen acht Uhr. Ich hatte nicht viel vom letzten
Silvester, das können Sie mir glauben. Punkt elf kommen sie aus dem Hotel
heraus. Die vornehme Frau in Rot hatte sich unterdessen umgezogen und sieht
völlig verändert aus. Ich erkenne sie zuerst gar nicht. Schwarze Lederjacke,
Bluejeans, Pelzmütze. Ihr Haar trägt sie nun glatt herunter gekämmt. Merkwürdig
ist, dass sie nicht mehr den Daimler benutzten, sondern in einen schwarzen
VW-Golf einstiegen. Die zweite Merkwürdigkeit: nicht der Benz-Fahrer fährt den
Wagen, die Frau fährt selbst. Die dritte Merkwürdigkeit: Aichinger, Stottinger
und der unbekannte Fahrer laufen wie benebelt oder wie in Trance zu dem Auto,
als würden sie unter Drogen stehen. Willenlos folgen sie der Frau, die ihnen
sogar die Autotüren öffnet und sie mit einem leichten Klaps auf die Schulter
zum Einsteigen auffordert. Sie kurvt bis kurz vor Mitternacht mit den Männern
durch Münchens Innenstadt. Zu guter Letzt fährt sie zu einer abgelegenen Stelle
an der Isar und versteckt den Golf unter einer verschneiten Baumgruppe. Aus
einiger Entfernung verfolge ich die Fortsetzung des Geschehens. Nachdem alle
den Wagen verlassen hatten, stellen sie sich im Halbkreis auf und es sieht so
aus als würde die Frau ihnen strenge Instruktionen erteilen. Sie hebt ihren
rechten Arm senkrecht in die Höhe, reißt ihn dann abrupt herunter, so dass er
waagerecht auf die Isar deutet. Daraufhin marschieren die drei Männer - wie
soll ich mich ausdrücken - wie im Gänsemarsch, geradewegs auf den zugefrorenen
Fluss zu. Ich war sprachlos. Unbekümmert betreten sie das Eis, und wie nicht
anders zu erwarten war, brechen sie nacheinander darin ein. Ich gebe zu: So
etwas habe ich noch nicht gesehen. Die sind dort einfach im eiskalten Wasser
abgesoffen. Die Frau öffnet den Kofferraum, holt irgendwas heraus, geht ans
Ufer und wirft es auf die Eisfläche. Wie sich herausstellte, waren das die zwei
leeren Whiskyflaschen und buntes Konfetti. Sie wartet eine Weile, bis die drei
geräuschlos unter dem Eis verschwunden sind. All das dauert weniger als zehn
Minuten bei einer Temperatur von mindestens minus 15° Celsius. Sie muss die
Kerle total mit Drogen vollgepumpt haben. Ich kann es immer noch nicht glauben.
Diese Frau hat sie wie selbstverständlich in den Tod marschieren
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