Das Salz der Mörder
zur gleichen Zeit drüben im Osten 3442 Nazis in
den so genannten ‚Waldheim-Prozessen‘ abgeurteilt. Darunter 700 Funktionäre der
NSDAP, 420 Polizeioffiziere, 280 Mitglieder der SA und SS, 200 Beamte des
NS-Staatsapparats, 170 leitende Wirtschaftsfunktionäre, 140 Denunzianten, 130
Nazijuristen, 90 Naziverleger und - Redakteure, 70 Wehrwölfe und HJ-Führer, 65
Justizbeamte und KZ-Aufseher, 60 Angehörige der Wehrmacht und 30 Ärzte.
Arthur
Mäser wird nicht zur Verantwortung gezogen. Niemand weiß von seiner
Vergangenheit. Er ist einer der Vorsitzenden Richter bei diesen Prozessen. Und
er ist ebenso Vorsitzender Richter im Prozess gegen Herbert Wegner im Jahre
1965. Wegner wird wegen staatsfeindlicher Hetze durch ein Schnellgericht in
Potsdam unter Ausschluss der Öffentlichkeit zum Tode verurteilt. Vollstreckt
wird dieses Urteil am 22. Mai 1965 in Bautzen durch Genickschuss. Als
Todesursache wird auf dem Totenschein ‚Herzversagen‘ eingetragen. Dieses
Dokument erreicht die Familie Wegner acht Wochen nach der Hinrichtung. Auf dem
Einschreibebrief prangt der Stempel des Generalstaatsanwaltes der Deutschen
Demokratischen Republik.
Endlich
steht der Feldrichter von Amsterdam, der Volksrichter von Waldheim und der SED-Richter
von Potsdam Arthur Mäser vor einem ordentlichen deutschen Gericht. Fast ein
halbes Jahrhundert mussten die alten Nazis und ihre Nachfolger warten, bis sie
die Urteile von Waldheim rächen konnten. Der Holländer Bernd van Benthen lebt
noch und ist als Zeuge geladen worden. Ich wünschte mir, Ihr Mann und Herr
Manfred Wegner würden beide als Nebenkläger auftreten und dieses Schwein zur
Verantwortung ziehen. Der hat ja nicht nur Nazis abgeurteilt, der hat sogar
ganz normale Menschen auf dem Gewissen. Der hat alles gekillt, was ihm vor
seinem Richtertisch gestellt wurde.“
„Ich
bin mir nicht sicher, ob ich diese Geschichte meiner Schwiegermutter oder
meinem Gatten erzählen sollte.“
„Was
glauben Sie? Werde ich wegen der Isar-Sache meine Lizenz verlieren?“
„Schon
möglich . . .“
64. Der Staatsanwalt und die ARD
„Ich
verbiete Ihnen dieses Video zu senden.“
„Das
können Sie nicht.“
„Gewiss
kann ich das! Ich werde Ihnen eine ‚Einstweilige Richterliche Anordnung‘
vorlegen.“
„Dazu
fehlt Ihnen erstens die Zeit, weil wir schneller sind. Und zweitens werden Sie
keinen Richter finden, der sich darauf einlässt, einen öffentlich-rechtlichen
Auftrag zu zensieren. Herr Staatsanwalt, vergessen Sie nicht, auch unsere
Juristen wissen, was sie tun. Sie können uns nicht wegen der Zurückhaltung von
Beweismaterial zur Verantwortung ziehen, wie Sie es mit diesem Provinzblatt im
hohen Norden getan haben. Soeben erhielten Sie offiziell eine Kopie dieses
Videos von unserer Sendeanstalt, mit einer notariell beglaubigten Aussage von mir
als Chefredakteur des Senders, dass dieses Videoband unserer Redaktion anonym
zugesandt wurde. Erzählen Sie mir bitte nicht, eine Ausstrahlung würde in
irgendeiner Weise Ihre weiteren Ermittlungen beeinflussen. Der Sendetermin ist
heute Nacht gleich am Anschluss der ‚Tagesthemen‘ um dreiundzwanzig Uhr.
Überdies sind in unserer überarbeiteten Version die Geschlechtsteile schwarz
eingefärbt. Es wird ohne Ton gesendet, es ist mit einem erläuternden Kommentar
unterlegt. Das Manuskript haben Sie. Es liegt auf diesem Schreibtisch, direkt
vor Ihnen. Wenn Sie es endlich lesen würden, wüssten Sie, dass unser
fünfminütiger Film wirklich nicht jugendgefährdend ist. Was wollen Sie noch?“
„Ich
appelliere an Ihre Moralvorstellungen der Ehefrau und dem Sohn gegenüber.“
„Da
haben Sie ganz gewiss recht. Aber dem steht die Informationspflicht unserer
Anstalt entgegen, die täglich Millionen über Millionen Fernsehzuschauer auf dem
Laufenden zu halten hat. Dieser Fall interessiert anscheinend jeden, obwohl er
sich bereits ein halbes Jahr durch die Medien schleppt.“
„Millionen
über Millionen? Ich möchte Ihre Intentionen nicht qualifizieren. Das muss jeder
für sich selbst be- und verantworten können. Wie es aussieht, verkommt die
gute, alte ARD allmählich zur Yellow-Press.“
„Selbstverständlich
kann ich Ihre Reaktion verstehen. Ich habe das erwartet. Aber ich wiederhole:
Eine ausgewogene Grundversorgung der Bevölkerung an Information, Bildung und
Unterhaltung zu garantieren, darin besteht unser gesetzlicher Grundauftrag, und
daran können auch Sie nicht rütteln, Herr Staatsanwalt.“
„Sie
nennen dieses Video:
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