Das Salz der Mörder
Schwerverbrecher. Dabei sind
wir doch die Opfer: mein Mann, meine Tochter, mein Sohn und ich! Unsere Familie
ist zum öffentlichen Ärgernis geworden. Selbst mein Chef, Professor Doktor
Haffner, gab mir mit freundlichen Worten aber unmissverständlich zu verstehen,
dass er meine Kündigung nur widerstrebend entgegennehmen würde, er sich jedoch
in einem Dilemma befände, weil seine Patienten nicht mehr von mir versorgt
werden wollten. Jeder halbwegs gebildete Mensch kann diese unverblümte
Anspielung verstehen. Durch Ihre beispiellose Tatenlosigkeit, Herr Staatsanwalt
Schmid-Mertens, hat man mich zur ‚Persona non grata‘ degradiert. Was ist denn
nun mit diesem Dorf an der Nordsee? Dort liegen so viele Hinweise vor Ihnen auf
dem Schreibtisch, denen Sie nicht nachgehen. Ich halte das nicht aus. Tun Sie
endlich was“, schrie Veronika und brach in sich zusammen. Schlaff und kraftlos
sank ihr Körper in den Sessel zurück, in dem sie noch wenige Minuten zuvor
aufrecht und herausfordernd dem Staatsanwalt trotzen wollte.
„Liebe
Frau Wegner, ich kann gut verstehen, dass Sie nach der Veröffentlichung des
Videos in der ARD die Nerven verlieren. Doch um ein Dorf in Schleswig-Holstein
zu stürmen, brauchen wir die Zustimmung der dortigen Landesregierung. Und die
will stichhaltige Beweise. Die Bundestagswahl steht kurz bevor. Der Wahlkampf
hat längst begonnen. Da möchte sich selbstverständlich niemand lächerlich
machen. Glauben Sie tatsächlich, dass sich irgendjemand auf Vermutungen und
Aussagen eines undurchsichtigen Herrn Möllers einlässt, der zurzeit selbst in
Untersuchungshaft einsitzt? Nebenbei bemerkt, das, was wir hier besprechen sind
keine Verhöre, Frau Wegner. Ich versuche mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ja, ich
verstehe Sie vollkommen. Ich kann mir denken, was in Ihnen vor sich geht. Sie
mussten den Geschlechtsverkehr Ihres Mannes mit einer anderen Frau ansehen, und
dazu noch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Und ich verstehe zweifellos
auch, dass Sie im Moment offensichtlich sehr enttäuscht von Ihrem Mann sind.
Dennoch, man darf diesen Tatsachen nicht . . .“
„So
halten Sie doch Ihren Mund. Sie wissen ja gar nicht, wovon Sie reden. Gewiss,
ich habe es mit eigenen Augen gesehen: Mein Mann schläft mit einer anderen
Frau. Na und? Manfred war nie ein Kind von Traurigkeit, und ich bin auch keine
Heilige. Jawohl, seitdem er zurück ist, zurück aus Afrika, seitdem wir wieder
zusammenleben, seitdem vertraue ich meinem Mann bedenkenlos. Verzeihen Sie, ich
spreche natürlich von meinem geschiedenen Mann. Tausendmal sah ich mir dieses
verdammte Video an. Tausendmal sagte ich mir: Manfred bewegt sich anders im
Bett. Mein Mann macht das nicht so. Ich sage Ihnen, er steht unter Zwang. Ja,
Manfred bumst unter Zwang.“
Anklage
und Verteidigung sahen sich an, ohne ein Wort, ohne eine Geste. Allein ihre
entgeisterten Blicke deuteten darauf hin, was sie dachten. Für einige Sekunden
herrschte abermals äußerste Sprachlosigkeit in dem hektischen Raum. Anklage und
Verteidigung waren sich zum ersten Mal so nahe, man hätte vermuten können, sie
kämen aus demselben Elternhaus. Dass der Geschlechtsakt, der Beischlaf, die
Liebesvereinigung, die Begattung, der Koitus, der Intimverkehr, die Kopulation
mit dem ordinären Wort „bumsen“ umschrieben werden kann, war diesen beiden
elitären Naturen trotz elitärer Ausbildung, allem Anschein nach, nicht
geläufig. Frau Wegner zerschlug die unerträgliche Ruhe mit einem heftigen
Faustschlag auf das Aktenbündel des Staatsanwaltes.
„Ich
sage es Ihnen noch einmal: Manfred bewegt sich anders im Bett, und er lebt.
Dieses Video ist nichts, besagt nichts und beweist erst recht nichts. Wer auch
immer es aufgenommen hat, hat einen großen Fehler begangen. Jetzt ist mir eines
klar geworden: Ich werde meinen geschiedenen Mann wieder heiraten. Wir werden
wieder heiraten, ja. Und Manfred und Gaby sind am Leben, das spüre ich ganz
tief in mir.“
Zur
Verwunderung der Anwesenden lächelte Frau Wegner. Sie weiß, wie zärtlich Freddy
ist, wie temperamentvoll, wenn er seinen „Mr. Hartmann“ in „Mrs. Weichmann“
einführt. Schon die so genannten „Alpenbilder“ ließen sie nicht an ihrem Mann
zweifeln.
„Sie
sitzen da in Ihrem gepolsterten Ledersessel und strotzen förmlich vor
Emotionslosigkeit, denn es geht Sie ja nichts an. Es betrifft Sie nicht
persönlich. Sie erledigen nur einen Job, mehr schlecht als recht. Man bezahlt
Sie nicht nach einer Erfolgsquote, Herr
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