Das Salz der Mörder
einzelne Haarwurzel an seinem Platz, jedes
Löckchen, wo es vorher war. Und du gehst in deinen Wald zurück und niemand wird
dich und deine Schwestern jemals wieder in eurer Freitagsruhe stören.‘
Er
nahm die kleine Hexe an die Hand und fragte alle Versammelten, ob sie ihn bis
zum Rand des Waldes begleiten würden. Misstrauisch, aber einstimmig, sagten sie
Ja und folgten Afrum. Nach wenigen Minuten erreichten sie einen kleinen Bach,
der zwischen Farnen, Bambus und hohem Gras friedlich am Wegesrand
dahinplätscherte.
Afrum
hatte am frühen Morgen den Ufersand glattgeharkt und ihn liebevoll mit Tieren
und Blumen bemalt. Er ermahnte seine Brüder achtsam durch den Sand zu laufen, um
die hübschen Bilder nicht zu zerstören. Dann wandte er sich an die Hexe: ‚Komm,
meine Kleine, deine Zeit mit den Menschen war ziemlich schlimm für dich. Jetzt
wirst du deine Ruhe wiederfinden. Lass uns spielen, und ehe die Sonne
untergeht, gebe ich dir deine Haare zurück.‘ Afrum und die verwunschene Greisin
setzten sich nieder und begannen im Sand zu spielen. Sie war glücklich. Die
böse Hexe lachte aus vollem Herzen, sprang auf und nieder und zertrampelte
dabei alle Sandbilder. Afrum richtete sich auf. Die Dorfbewohner blickten in
voller Erwartung auf ihn, den Idioten, und es schien, als würden sich
unsichtbare Dinge auf die Bäume des nahen Waldes niederlassen. Ein fernes
Raunen, ein leises Grollen drangen durch Feld und Flur. Sowie die kleine Hexe
bemerkte, was geschehen war, hörte sie unversehens auf zu spielen. Schreiend
kam sie zu Afrum gelaufen und verlangte erneut ihr Haar zurück.‚Ja, ich habe
dir doch versprochen, dass du dein Haar wiederbekommst, mein Engel. Bevor wir
das erledigen, bitte sei so gut und bemale meinen Sand mit all den Tieren und
Blumen genauso wie alles vorher war. Leider hast du in deiner unbändigen Freude
meine schönen Sandmalereien verwüstet und zerstört. Bitte, gib dir ein bisschen
Mühe. Und vergiss nicht auch deine Fußabdrücke säuberlich zu entfernen. Ich
werde dort hinten bei meinen Geschwistern auf dich warten, bis du fertig bist‘.
Ein
erschrockenes Stöhnen hallte leise von den Bäumen herüber und die kleine Hexe
starrte voller Entsetzen in Afrums Augen. Widerwillig ging sie zu ihrem
Spielplatz. Sie versuchte die Fußspuren zu verwischen, doch sie trat nur noch
mehr mit ihren zierlichen Füßchen in den feuchten Sand. Nach weiteren
vergeblichen Experimenten kam sie zu Afrum und sagte: ‚Ich kann deine schönen
Sandzeichnungen nicht genauso malen wie du. Dazu bin ich zu ungeschickt.‘
Wütend stampften sie mit ihren Beinchen auf den Boden. Böse Stimmen füllten
erneut die Luft. Mit gesenktem Kopf lief sie auf und ab und überlegte, was zu
tun sei. Die unverständlichen Stimmen und Geräusche wurden lauter und schienen
mit der kleinen Nymphe zu sprechen. Nach einiger Zeit trat sie zu Afrum und
sagte: ‚Du kannst meine Haare behalten. Ja, behalte all meine Haare, dann sind
wir quitt und es ist alles ausgeglichen.‘
Die
kleine Hexe hob weinend ihren Kopf und verwandelte sich unversehens wieder in
das hübsche unschuldige Mädchen. Sie rannte in den Wald hinein und wurde von
Stund an nie mehr gesehen.
Fröhlich
sprach Afrum zu den Dorfbewohnern: ‚Es ist alles vorbei, liebe Freunde, und ihr
könnt friedlich nach Hause ziehen. Doch zuvor möchte ich euch etwas sagen:
Denkt nicht, dass ich gekommen bin, um mich verspotten zu lassen. Ich habe euch
von euren Ängsten befreit, euren Ängsten vor dem dunklen Wald, die Furcht vor
Nymphen, Hexen und Teufeln. Ich gebe euch die Macht über sie und ihr werdet in
Frieden leben, bis an euer Ende. Vergesst das nicht. Vergesst das niemals!
Bemerkt ihr das Flimmern in der Luft? Hört ihr das sanfte Flüstern im Wind? Die
Geister des Waldes schauen auf Afrum. Und nun beschließen wir ein Abkommen
miteinander. Wir werden friedlich zusammenleben, von heut an und in alle
Ewigkeit. Und merkt euch eines: Verspottet niemals einen Menschen, den ihr
nicht versteht. Denn jeder Dumme kann weise werden, und jeder Weise dumm‘.
Lächelnd fügte er hinzu: ‚Soviel über die Plagen, die uns die Waldgeister antun
können. Jetzt seid ihr frei, für immer und alle Zeit‘.
Gemeinsam
und voller Zuversicht bauten sie ihr Dorf wieder auf und nannten es, das Dorf
der letzten Nymphen. Afrum, der Idiot, Bempongs jüngsten Sohn, ernannten sie
zum Dorfältesten. So lebten sie glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.“
Der
uralte VW-Bus ratterte unbekümmert
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