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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Sehnen und sonstiges Zubehör
aufbewahrte, und Susi hatte den Käscher zu tragen. Nun waren wir bereit zum
Abmarsch. Vergnügt spazierten wir – Vati in unserer Mitte – zum See hinunter.
    So
war er. So war mein Vater. Durch seine kleine Erpressung bereitete er uns eine
riesengroße Freude. Über unser sogenanntes Sonnenbad wurde nicht mehr
gesprochen. Mir kommen die Tränen, wenn ich heute daran denke: Ein Jahr später
war er tot.
    Zu
Omi sagte ich gelegentlich: „Die Susi sieht schön aus, wenn sie nichts an hat.“
Omi blickte argwöhnisch auf mich herab, runzelte die Stirn und erwiderte: „Die
Susanne ist nicht gut für dich, Freddy. Die ist hier vom Dorf, und andauernd
steckt sie mit den jungen Burschen zusammen. Außerdem ist sie zu alt für dich.“
    Ich
glaube es war an einem Dienstag. Ich wachte auf und fühlte mich nicht gut. Omi
ackerte schon den ganzen Morgen im Garten herum. Ich hörte die vertrauten
Geräusche von meinem Fenster aus. Während ich ihr auf dem Weg zum Schuppen
entgegen taumelte, konnte sie mich gerade noch auffangen, sonst wäre ich
blindlings in den modrigen Misthaufen gefallen. Behutsam brachte sie mich in
mein Bett zurück, legte die Zudecke auf meinen kleinen zitternden Körper und
sagte mir nichts von den roten Pickeln, die sich über Nacht auf meinem Körper
ausgebreitet hatten. Erschöpft schlief ich wieder ein.
    Omi
war außer sich. Sie rannte in ihrer Verzweiflung zu Doktor Scheffler ins Dorf,
der ihr ein Rezept aufschrieb und versprach nach der Sprechstunde bei uns
vorbei zuschauen. In der Apotheke gab man ihr Tabletten und Salben, die mich
stabilisieren sollten. Mit den Medikamenten in der einen und einem wedelnden
Taschentuch in der anderen Hand hielt Omi einen vorbeifahrenden Trabant an, was
sie sich seinerzeit normalerweise niemals gewagt hätte, weil sie Autobesitzer
als bessere Herren bewunderte. Doch in Anbetracht der besonderen Umstände, die
sie dazu veranlassten, vergaß sie sogar ihr gutes Benehmen. Unaufhörlich
trommelte sie dem Fahrer auf die Schulter.
    „Wiesengrund
30! Wiesengrund 30! Junger Mann, so fahren Sie doch zu! Wiesengrund 30! Mein
Enkel stirbt!!!“
    Ich
starb nicht, ich hatte die Masern. Da Omi nicht viel von der heutigen
Schulmedizin und ihrer chemischen Beschaffenheit hielt, verabreichte sie mir
zusätzlich ein altes Hausrezept, das aus einem heißen Bad mit Senfsamen und
einem über starken Holundertee bestand. Ich musste mich in eine kleine
Zinkwanne setzen, und Omi schrubbte mit eiserner Hand die aufgequollenen und
halb zerkochten Senfkörner erbarmungslos über meinen schmächtigen Körper. Nach
dieser Tortur hatte ich den ungenießbaren Holunderbeeraufguss zu inhalieren, zu
gurgeln und zu trinken. Damit die entzündeten Atemwege freiwerden und das
Fieber heruntergeht, erläuterte sie mir geduldig. Während meiner Krankheit hielt
sie unablässig telefonischen Kontakt mit Mutti, um ihr auch den kleinsten
Schritt meiner Genesung ausführlich mitteilen zu können. Geschwächt und fiebrig
lag ich in meinem durchschwitzten Bett und machte mir um meinen
Gesundheitszustand viel weniger Sorgen. Ich muss zugeben, so geschwächt fühlte
ich mich nicht, da ich verhältnismäßig schnell wieder zu Kräften kam. Omi aber
tat, als wäre ich völlig am Ende, und ich tat ihr den Gefallen. Jedes Mal, wenn
sie zur Apotheke lief, um meine Medizin zu bekommen, wünschte ich mir außer
Lakritze auch Buntstifte und Zeichenpapier. Immer noch spielte ich den kranken
Freddy, der sehr abgezehrt und hinfällig in seinem Schweiß dahin schwamm.
    Omis
Augen strahlten, als sie meine ersten Zeichenversuche beobachtete. Was sie allerdings
nicht bemerkte, war, dass ich nur einem Motiv nacheiferte, mich nur einem
einzigen Objekt widmete. Ich hatte unterdessen mehre Zeichenblöcke verunstaltet
und unter meinem Bett unsichtbar beseitigt. Ich wusste, eines Tages würde sie
herausfinden, was ihr übereifriger Enkel zustande bringen wollte. In meinem
Kopf spukte damals bloß eines umher: Susis Kopf. Und ich zeichnete sie,
radierte sie aus, zerriss sie, begann von neuem. Ich weiß nicht, welches Fieber
mich stärker schüttelte: das der Masern oder das Susifieber. Ich zeichnete so
lange, bis Susi auf meinem Papier als Susi erschien und zum Leben erwachte.
Leider war das das vorläufige Ende der Beziehung zwischen Susi und Freddy, denn
die frappierende Ähnlichkeit meiner Zeichnungen, ließen Omi zwischen
Bewunderung und Entsetzen verzweifeln.
    Ich
sah es ihr an, dass sie nicht

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