Das Salz der Mörder
glücklich darüber war, mir wegen Susi nach meiner
erfolgreichen Genesung eine ganze Woche Stubenarrest gegeben zu haben. Zumal
sie nicht wusste, ob ich den Sinn oder Unsinn ihrer Maßnahme überhaupt
verstand. Es ist aber mit Gewissheit anzunehmen, dass meine Augen schon als
Kind sehr ausdrucksvoll agieren konnten, da ich nach zwei einsamen Tagen im
verschlossenen Häuschen wieder mit Susi zusammen im Wald saß.
Selbstverständlich
wurde Mutti von all diesen Vorgängen und Nichtigkeiten niemals unterrichtet.
Jeden Montag kam sie zu Besuch und stellte stets mit Befriedigung fest: „Unser
Freddy ist doch ein lieber Junge, nicht wahr, Omi?“ Und Omi nickte. Dabei
streichelten mir beide gleichzeitig über den Hinterkopf. Nach dem letzten
Schluck Bohnenkaffee und dem letzten Bissen Erdbeertorte am späten Nachmittag,
fuhr Mutti beruhigt wieder nach Berlin zurück.
Ja,
bei meiner Omi war ich glücklich. Bei ihr passierte alles Schöne immer zum
ersten Mal. Gelegentlich musste ich ihr im Garten helfen. Das fand ich nicht so
lustig, denn dabei ging meistens ein ganzer Tag flöten. Deshalb hatte sie auch
nichts dagegen, wenn ich mich die halbe Nacht mit meinen älteren Freunden im
Dorf herumtrieb - zur Belohnung sozusagen. Zu jener Zeit saß Susi wegen
Diebstahls bereits in einem Erziehungsheim. Sie hatte in mehreren volkseigenen
Kaufhallen ungeniert volkseigene Schokolade und volkseigene Zigaretten geklaut.
Das wusste Omi, und ihr fiel ein Stein vom Herzen, weil mir Susi nun nicht mehr
den Kopf verdrehen konnte.
Eines
schönen Tages - es war wohl ein Freitag - musste Omi in die Stadt zur Polizei.
Sie hätte ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern, behauptete sie. Ich
fragte, was das bedeutet. Sie erklärte mir umständlich, dass sie niemals eine
Reichsdeutsche werden wollte und hartnäckig auf ihre österreichische
Staatsbürgerschaft bestand.
„Omi,
was ist denn eine Reichsdeutsche, und wieso bist du aus Österreich?“
Ich
verstand das damals noch nicht. Jedenfalls kam sie am Abend mit einem neuen
Stempel in ihrem österreichischen Reisepass aus der Stadt zurück und berichtete
mir folgendes: „Freddy, weißt du was mir der Vater von deinem Freund erzählt
hat?“
„Aber
Omi, ich habe viele Freunde, und alle haben sie einen Vater.“ „Ich meine den
Taxifahrer.“ „Ach, du meinst den Vater von Kalle. Der fährt Taxi, das stimmt.
Und was ist passiert?“
„Stell
dir vor, der fragt mich: ‚Sagen Sie, Frau Prieger, ich hörte, Sie sind
Österreicherin?’ , Ja‘, sag ich. ‚Und warum fahren sie nicht mal rüber nach
Westberlin und kaufen sich und Ihrem Enkel was Schönes?’ fragt er weiter. ‚Als
Ausländer lässt man Sie doch auf jeden Fall durch den antifaschistischen
Schutzwall. Sonst würden die ja gegen das Viermächteabkommen verstoßen‘.“
Und
so geschah es, dass Omi, wie jeder andere Österreicher auch, die Mauer in
Berlin zu jeder Tages- und Nachtzeit hin und her passieren durfte. Weshalb das
vorher niemand wusste, kann ich nicht sagen. Dennoch, das war’s: Ich wurde
Kapitalist auf Zeit - auf Ferienzeit. Ich betrieb einen blühenden Handel mit
allem, was es bei uns in der Zone nicht gab. Meine Kumpels vertrauten mir ihr
zusammengespartes Ostgeld und die jeweiligen Einkaufswünsche an, die ihnen das
SFB-Werbefernsehen suggerierte, und Omi hatte so oft wie möglich in den Westen
zu fahren. Allerdings, ganz einfach war das nicht zu bewerkstelligen, weil sie
ihren Garten liebte, ihre Hühner und ihre Kaninchen, und alles musste gepflegt,
gehegt und gefüttert werden – das war ihre Bedingung.
„Kein
Problem, Omi!“ entschied ich. „Garten, Hühner und Kaninchen. Das organisiere
ich!“
Für
die Fahrtkosten legten meine Freunde und ich solidarisch unsere Pfennige
zusammen. Obwohl ich niemals im Westen war, geschweige denn mich da drüben
auskannte, hatte ich Omi alles ausführlich zu erklären, was sie dort tun und
was sie dort lassen sollte. Auch das war kein Problem, immerhin hatte ich ja
viele potente ältere Berater.
„Omi,
zuallererst, vergiss nie, du kommst aus der Ostzone, du bist alt, arm und
gebrechlich. Stellst dich halt ein bisschen dämlich an. Denke unablässig daran,
du bist klapprig und verwirrt und kommst aus der armen DDR. Vorzusehen hast du
dich bloß, wenn du unser Ostgeld umtauschst. Es gibt eventuell Wechselstuben,
die dich beschummeln wollen. Also achte genau auf den Umtauschkurs, setze deine
Brille auf und rechne alles gewissenhaft nach.“
Ich
hatte einige
Weitere Kostenlose Bücher