Das Salz der Mörder
Hauptstadt einfliegen lassen. Auf einer
Anhöhe, die sich terrassenförmig bis zur Küste hinab ausdehnt, steht das
Herrenhaus, umgeben von Bougainvillea und Aurelien. In unserem Schlafzimmer, im
ersten Stock, ließ ich größere Fenster einmauern. Jeden Morgen wirst Du von
Deinem Bett aus die Sonne über dem Meer aufgehen sehen. Obwohl vor der Veranda
ein imposanter Swimmingpool auf Dich wartet, erstreckt sich, nur einen
Steinwurf vom Bootshaus entfernt, unser eigener Strand. Wo auch immer Du Dich
im Haus aufhältst, Du hörst ständig das leise, friedliche Rauschen der Wellen.
Heute
ist Sonntag. Durch das offene Fenster höre ich unsere Kinder im Pool toben.
Wenigstens sie können für einige Momente vergessen, dass Du noch immer nicht
bei uns bist. Mein Blick schweift über den dunkelblauen Ozean. Unzählige kleine
Fischerboote schaukeln auf den schäumenden Wogen, abertausendmal geflickte
Nylonnetze zielsicher und stoisch hinterher ziehend. In der Ferne zerschneidet
der leicht gekrümmte Horizont Himmel und Meer. Geräusche der morgendlichen
Brandung verschmelzen mit der schier unbeschreiblichen Schönheit des
Augenblicks. Diese Harmonie der Ursprünglichkeit ist umrahmt von denen sich im
milden Wind sacht wiegenden Fächerpalmen unseres Gartens. Wann wirst auch Du
das alles sehen können? Wann werden wir beginnen, wieder wie eine ganz normale
Familie zu leben?
Jeden
Tag stelle ich mir die gleichen Fragen, wenn ich nach dem gemeinsamen Frühstück
mit den Kindern allein in meinem Büro nervös auf und ab wandere, um die
bösartigen Gedanken, die eigensinnig in mir schlummern, aus meinem verwüsteten
Hirn zu verscheuchen. Jeder Versuch jedoch, nicht mehr im Vergangenen zu leben,
ist mir bis jetzt missglückt.
Ich
habe die Zeit vergessen, verfolge weder Wochentage noch das Datum. Erst wenn
ich die Faxmaschine auf eingegangene Nachrichten kontrolliere, bekomme ich eine
annähernde Vorstellung von Tag und Stunde. Die Anzeige des Geräts wird von
einer eingebauten Batterie gespeist und arbeitet somit unabhängig vom
Stromnetz, das nicht selten für mehrere Tage ausfällt. Ich wusste nicht, dass
es auf dem Land solche ärgerlichen Energieprobleme gibt, aber das macht nichts.
Ein entsprechender Generator wurde unlängst angeliefert, angeschlossen und ist
bei jedem Stromausfall einsatzbereit. Wir werden von diesem Ärgernis nicht mehr
gestört.
Tag
für Tag verstreicht, und ein Tag gleicht dem anderen. Meine Armbanduhr
verbannte ich in die hinterste Ecke meiner Schreibtischschublade. Sonstige
Uhren habe ich erst gar nicht in den Zimmern anbringen oder aufstellen lassen.
Hier ist Zeit bedeutungslos, nichts.
Ich
arbeite nicht viel. Mein tägliches Pensum erschöpft sich im Unterzeichnen von
Verträgen und dem Ausarbeiten kurzer schriftlicher Anweisungen. Für meine zwölf
einheimischen Mitarbeiter bin ich sowieso kaum zu sprechen, denn sie bekommen
ihre Instruktionen von José, meinem Hausdiener. Ja, ich rufe ihn José, weil ich
seinen richtigen Namen nicht aussprechen kann. Ich tue mich etwas schwer mit
dem Portugiesischen. Hoffentlich wirst Du es damit später ein bisschen
einfacher haben als ich.
Von
ein paar Geschäftspartnern, die mich dann und wann persönlich über die
Situation unserer Firma informieren möchten, einmal abgesehen, bin ich
verhältnismäßig ungebunden in meiner Erwerbstätigkeit. Aus diesem vorteilhaften
Grunde nehme ich mir ausgiebig Zeit für mein neues Hobby. Um noch mehr Ruhe und
Ausgeglichenheit zu erleben, versuche ich mich seit einigen Wochen beim
Hochseeangeln. Und tatsächlich: Dieser Sport verhilft mir meine Vergangenheit
allmählich abzustreifen, die beängstigenden Erinnerungen zu vergessen. Die
permanente Unruhe und Nervosität, die sich in meinem Kopf festgesetzt haben,
verfliegen mit jedem weiteren Tag auf hoher See. Ich ließ mich fachmännisch
beraten und ersteigerte bei einer Auktion das entsprechende Boot. Du wirst
staunen, wenn Du es siehst. In Wahrheit gibt es kaum etwas Schöneres als in
dieser wässrigen Unendlichkeit zu treiben und das faszinierende Licht der
südlichen Breiten in sich aufzusaugen. Das sind göttliche Wahrnehmungen, Dinge
zu sehen, die sonst niemand sieht. Man erlebt eine zeitlose Ewigkeit, die
unvorstellbar weit entfernt von jener Welt ist, in der wir täglich existieren,
uns täglich produzieren müssen. Ich nenne dieses Empfinden, „atlantisches
Empfinden“. Du wirst mich verstehen, wenn Du mit mir dort draußen bist, dort
draußen auf dem
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