Das Salz der Mörder
dieser pessimistisch
getönte Glaube und sein Bezug zur realen Welt, in der Du immer noch lebst,
gaben mir die Kraft zum Nein sagen. Dazu sollte ich gerechterweise erläutern,
dass mir bereits früher der Suizid als eigenverantwortliche Endlösung eines
persönlichen, sprich, egoistischen Problems, als das Nonplusultra unter den
gängigen Todesursachen galt. Wer könnte befähigter sein als der
uneingeschränkte Herrscher seiner selbst, zu entscheiden, wann und wie und wo
der große Tag des Ausklingens kommen soll. Da der Mensch schon nicht über seine
Geburt und Herkunft entscheiden darf, müsste man ihm doch zumindest das Recht
auf einen harmonischen Abgang zugestehen. Wie dem auch sei, mich beflügelte nur
noch ein einziger Gedanke: meinen Freunden, meinen Lebensgefährten also, David
und Dir, all das zu geben, was Ihr beide mir gegeben habt: Aufrichtigkeit und
Zuneigung - mit einem Wort: Liebe. Wenn das kitschig klingt, ist es mir egal –
Du weißt, was ich meine. Ob ich unsere Liebe dagegen mit dem verfluchten Geld,
das ich Euch hinterlasse, aufwerten kann, muss jeder für sich selbst
entscheiden.
Als
Du mich vor einigen Wochen besuchen kamst, ging es mir nicht mehr so gut. Du
hast es ja schweigend bemerkt - ich weiß. Ich will nicht weiterleben. Die
Schmerzen sind unerträglich geworden. Mein französischer Arzt ist genauso wenig
in der Lage mir zu helfen wie einst Dr. Webster. Und ich bin froh darüber:
Jetzt ist es zu spät für jede Hilfe. Vielleicht begreifst Du nun, weshalb ich
zu keiner Zeit einen Arzt wollte. Und Du wirst auch verstehen, dass ich meine
Schuld niemals werde sühnen können, denn ich fühle Gottes Strafe in mir. Diese
Strafe wird mir täglich bewusster und schmerzhafter.
Da
mir kein Mensch Sterbehilfe leisten wird, und Du erst recht nicht, habe ich
beschlossen mich ermorden zu lassen. Ich selbst bin zu feige dazu mich
umzubringen, daher soll das Schicksal entscheiden. Roger und Angelique erzählte
ich, ich werde für ein paar Tage ins Landesinnere reisen - Land und Leute
kennen lernen, na, Du weißt schon. Trotz ihres lautstarken Protests, habe ich
mich verabschiedet und ihnen diese beiden Briefe zurückgelassen, damit sie sie,
wie oben erwähnt, während meiner Abwesenheit für Euch aufbewahren.
Ich
werde versuchen ein heldenhaftes Ende für mich zu inszenieren. Du wirst es aus
den hiesigen Zeitungen erfahren. So was machen die in der Presse immer ganz
groß auf.
Bitte,
nimm meinen Tod nicht allzu ernst, ich lebe ja schon seit etlichen Jahren nicht
mehr, das weißt Du doch. Bitte, verzeih mir, wenn ich mich auf diese Weise aus
dem Leben schleiche.
Freddy,
Du hast beständig viel zu hohe moralische Ansprüche gestellt, die es in einer
Welt wie der unseren allerdings nicht gibt. Im Stillen habe ich Dich manches
Mal belächelt und manches Mal beneidet: wie unverdorben, wie naiv, wie
gutgläubig du warst und gewiss noch bist.
Sei
bitte nicht schockiert, wenn ich Dir erst jetzt meinen wahren Charakter, meine
Schattenseiten und mein schizoides Wesen offenbare. Ich hoffe, Du wirst mich
trotz allem als Deinen Bruder in Erinnerung behalten. So der Allmächtige will,
werden wir uns irgendwann, irgendwo wiedersehen. Bis dahin, Freddy, mach’s gut
und bleib gesund. Vergiss mich nicht. Ich liebe Dich.
Auf ewig - Dein
Steven
PS:
Ich kann nicht aufhören zu schreiben. Ich möchte Dir noch mehr sagen, bevor ich
gehe. Ich möchte Dir sagen, Freddy: Du bist ein guter Mensch. Du solltest sie
alle mit den gleichen Waffen schlagen, mit denen sie Dich geschlagen haben. Ich
sage Dir welche Waffen das sind: Lug und Trug, Egoismus und Verrat. Wenn Du sie
besiegen willst, nutze diese Waffen. Das müsste ausreichen diese ganze
verlogene Gesellschaft, die sich auch noch freiheitlich nennt, zu zerstören.
Ich verstand nie, was Du gegen Diktaturen hattest. Da weiß man doch, woran man
ist - man wird unterdrückt, fertig, aus und Schluss. In unseren westlichen
Demokratien ist das nicht so einfach zu definieren. Wir unterdrücken unsere
Leute nicht mit brutalen Waffen oder Foltern, oh nein, wir unterdrücken sie mit
bunten Bildern der Vollkommenheit. Diese werden dann verglichen mit den
schockierenden Bildern hungernder Kinder in der dritten Welt oder irgendwelchen
blutdurchtränkten Kriegsschauplätzen, von denen man zuvor noch nicht einmal den
Namen gehört hat. Der Trick des Vergleichens zwischen Gut und Böse soll uns
kritiklos gegen unsere eigene Regierung machen. Stets schafft sie es, uns an
das Gute
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