Das Salz der Mörder
aus meiner
Verwunderung, riss ich den Kopf herum. Jemand sprach mich an: „Taxi! Est-ce que
vous avez besoin d‘un taxi?“ Natürlich brauchte ich ein Taxi. Ich stieg in den
Wagen und gab dem Fahrer mein Notizbuch mit der Adresse unserer französischen
Freunde. Dann zeigte ich dem guten Mann einen Hundertdollarschein und versuchte
ihn zu fragen, ob man den irgendwo umtauschen könne. Da er mich anscheinend
verstand, fuhr er durch die halbe Innenstadt, um eine Wechselstube ausfindig zu
machen. Wahrscheinlich wollte er meine mangelnde Ortskenntnis ausnutzen und den
Fahrpreis in die Höhe treiben. Trotzdem kam ich noch zu meinen CFA - dem
Comptoir Français de Afrique, dem westafrikanischen Franc. Als wir schließlich
das Haus von Roger und Angelique Dupont erreichten, war es längst Abend
geworden. Der freundlich-durchtriebene Taxifahrer wartete, bis mir das
Gartentor geöffnet wurde und fuhr dann winkend davon. Yvonne, das hübsche
Hausmädchen, begrüßte mich weinenden und mit rot unterlaufenen Augen. Während
sie mit dem Zeigefinger auf ihre kleine Uhr am linken Armgelenk tippte, sagte
sie: „Mais savez-vous l’heure qu’il est?“ Ich verstand natürlich nichts. Erst
im Licht der Gartenlaterne erkannte sie mich wieder. Mit der weißen
Servierschürze bedeckte sie schluchzend ihr Gesicht. Nachdem ich näher
herangetreten war, fiel sie mir plötzlich um den Hals. Ich wollte sie
beruhigen, doch ich wusste nicht wie und plapperte irgendetwas in Englisch
daher. Wimmernd führte sie mich in den Salon, in dem Roger und Angelique längst
auf mich warteten. David hatte sie telefonisch über mein Kommen informiert.
Eine antike Stehlampe, die neben dem wuchtigen Sofa stand, tauchte den Raum in
düsteres Licht. Auf einem kleinen Rauchtisch lagen die gleichen Zeitungen, die
ich bereits vom Flughafen her kannte. Wir begrüßten uns kurz. Yvonne hatte
inzwischen den Raum verlassen. Angelique lief nervös auf und ab. Sie hatte
gerade eine halbe Zigarette im marmornen Aschenbecher zerdrückt und brannte
sich schon wieder eine neue an. Roger verfolgte sie mit schweigenden Blicken,
dann wandte er sich zu mir, schloss die Augen und schüttelte langsam seinen
Kopf. Was war denn bloß geschehen? Wortlos griff er in die Innentasche seines
Jacketts und überreichte mir einen Brief. Ich entdeckte meinen Namen auf dem
Umschlag - unverkennbar: Stevens Handschrift. Ich setzte mich unaufgefordert,
schlitzte umständlich das Kuvert auf und begann zu lesen:
Lieber
Freddy,
wenn
Du diese Zeilen in Händen hältst, gibt es mich nicht mehr, existiere ich nicht
mehr, ist mein Leben ausgelebt. Ich bat unsere französischen Freunde Dir diesen
Brief während meiner Abwesenheit persönlich auszuhändigen. Ich benutzte den
Begriff „Abwesenheit“, weil ich den beiden keinesfalls von meinem allerletzten
Vorhaben berichten wollte. David wird ein ähnliches Schreiben erhalten. Du
fragst Dich sicher, was es mit diesen Zeilen auf sich hat. Das möchte ich jetzt
erklären.
Ich
habe Dir aus meinem Leben einiges verschwiegen. Ich wollte Dich nicht wissen
lassen, dass es in meiner Vergangenheit dunkle Flecken gab - ich wollte Dich
als Freund und Bruder, der Du mir bis zum heutigen Tage bist, nicht verlieren.
Nun möchte ich Rechenschaft ablegen. Heute sollst Du endlich von meinen
Geheimnissen, an denen ich selbst noch in diesen, meinen letzten Augenblicken
leide, erfahren, bevor sie Dir von anderer Seite zugetragen und möglicherweise
aus einem falschen Blickwinkel dargestellt werden.
Es
existiert ein älterer Bruder von mir, Franklin Smiley. Er besitzt eine riesige
Supermarktkette in England und ist steinreich, fast so reich wie Du. Mein
Reisepass liegt in der Nachttischschublade meines Zimmers bei Roger. Wenn Du
mit meinem Bruder in Kontakt treten möchtest, seine Adresse ist in der
Rückseite des Passes eingeklebt. Ich muss Dich allerdings vor ihm warnen: Er
hasst Deutsche - das solltest Du wissen, ehe Du Dich mit ihm unterhältst. Ein
Teil unserer Familie ist im Zweiten Weltkrieg bei Euren Bombenangriffen auf
London umgekommen. Als er erfuhr, dass ich in Deutschland wohne und sogar mit
einer Deutschen zusammenlebe, hat er mich offiziell aus unserer Familie
verstoßen. Selbst meinen Namen missbrauchte er: Steven Smiley kürzte er mit
„SS“ ab. Dazu kann ich nicht viel sagen, er ist schließlich mein älterer
Bruder. Seit diesem Vorfall, jedenfalls, habe ich nie wieder etwas von ihm
gehört - er von mir übrigens auch nicht.
Das
ist aber
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