Das Salz der Mörder
Jungen, die augenscheinlich
nicht in das Menschenbild dieser Hansen passten. Da die Toten weitestgehend
keine Verwesungsmerkmale aufwiesen, konnte bis heute der überwiegende Teil der
Opfer identifiziert werden. Bei den Babys ist das allerdings etwas schwieriger.
Ich stelle weiterhin fest, dass man die Morde von Wusterwalde als einzigartig
in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands bezeichnen kann. Leider können wir die
Hauptverdächtige, die mutmaßliche Serien- beziehungsweise Massenmörderin Frau
Doktor Margot S. Hansen nicht mehr zur Verantwortung ziehen.
DIE
WELT: Herr Oberstaatsanwalt, ein zehnjähriger, geistesgestörter Junge rettete
dem Vernehmen nach allen Ermittlungsbeamten, die in Wusterwalde an der Bergung
der Leichen beteiligt waren, das Leben. Wie kam es dazu, und wer ist dieser
Junge?
Dr.
SCHMID-MERTENS: Das ist richtig. Wie die Durchsuchung des Weißen Hauses ergab,
handelt es sich mit höchster Wahrscheinlichkeit um ein nichteheliches Kind der
Hansen, das wie durch ein Wunder überlebt hat. Denn wie ich soeben erwähnte,
entdeckten wir unter den Toten fünf schwerstbehinderte Babys, die den
Größenwahn der Hansen nicht überstanden haben. Der besagte Junge ist zurzeit in
psychiatrischer Behandlung. Eine bevorstehende DNS-Untersuchung wird uns dann
Genaueres sagen können. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass diese Frau Hansen
einen heimlichen Liebhaber über Jahre hinweg in den Räumen ihrer Villa, hinter
dem Weißen Haus, gefangen hielt. Wir fanden die Leiche eines zirka
fünfzigjährigen Mannes in ihrem Schlafzimmer nackt am Bett gefesselt. Unser
Pathologe zählte eine beträchtliche Anzahl von Einstichen in beiden Unterarmen,
die dem Mann durch Infektionsnadeln beigefügt worden waren. Die weitere
Obduktion ergab, dass man ihm seit Jahren überhöhte Menge von Aufputschmitteln
verabreicht hatte. Der Mann starb wegen Überbelastung an Herzinfarkt. Da
während der Erstürmung des Dorfes bereits vorsommerliche Temperaturen
herrschten und der Tote mindestens zwei Wochen in diesem Raum lag, wies er
starke Verwesungsmerkmale auf. Der Leichnam war vollkommen von Würmern
zerfressen. Es stank entsetzlich. Die kleinen weißen Maden durchfraßen sogar
die Matratze, auf der er lag. Es hatte sich unter dem Bett eine glitschig
rötlichweiße Masse gebildet. Abertausend Tierchen krabbelten in dem matschigen
Brei durcheinander. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Es war ekelhaft. Ich
weiß nicht, was in dem kranken Kopf dieser Frau vor sich ging.
SAT
1: Herr Oberstaatsanwalt, die „Operation Brunnen“ wurde wegen
Kompetenzunstimmigkeiten von den Medien als tragikomische Posse und
Bildbürgerstreich dargestellt. Wodurch kam es dazu?
Dr.
SCHMID-MERTENS: Das weiß ich nicht. Das müssen Sie Ihre Kollegen schon selber
fragen.
FRANKFURTER
ALLGEMEINE ZEITUNG: Herr Oberstaatsanwalt, Sie äußerten in einer
Fernsehtalkshow - nachweislich vor einem Millionenpublikum -, man solle
Gewaltverbrecher wie die Hansen oder diesen Wegner laufen lassen, um
Schlimmeres zu vermeiden. Halten Sie Ihre These nach all diesen Ereignissen
immer noch für angemessen?
Dr.
SCHMID-MERTENS: Das ist so nicht ganz richtig. Sie reißen meine Äußerungen aus
dem Zusammenhang. Wir hatten zu jenem Zeitpunkt, auf den Sie anspielen, eine
extrem schwierige Situation zu bewältigen. Meine übergeordnete Behörde schien
handlungsunfähig zu sein und ich musste tatenlos zusehen, wie unser
Rechtssystem aus den Fu¬gen geriet. Ich forderte von eben dieser Stelle Hilfe
und Unterstützung an, die ich nicht bekam. Wie sie wissen, ist die damalige
Regierungskoalition infolgedessen auseinandergebrochen.
FRAU
IM SPIEGEL: Herr Oberstaatsanwalt, wechseln wir zum Fall Wegner. Wie kam es,
dass Sie Frau Wegner ungestraft entkommen ließen? Sie stand doch lange genug im
Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Wir brachten eine Serie über ihre Kleidung, die
sie im Fernsehen trug und druckten mehrere ihrer ostdeutschen Kochrezepte ab.
Wurde diese Frau nicht observiert? Und ist es wahr, dass Sie mit ihr ein
Verhältnis hatten, wie es der geschiedene Ehemann auf einem Magnetband
behauptete?
Dr.
SCHMID-MERTENS: Das ist selbstverständlich völliger Unsinn und entbehrt jeder
Logik. Ich bin seit zwölf Jahren glücklich verheiratet und habe drei Kinder.
Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass Herr und Frau Wegner exzellente
Laienschauspieler sind, die uns ein Stück vorgespielt haben, das genauso
einzigartig in der deutschen Nachkriegsgeschichte zu sein scheint
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