Das Salz der Mörder
geschickt . . . Jetzt steh doch endlich auf! Ins
Restaurant hat sie es mir geschickt. Ein Telegramm aus Passau, Freddy! Freddy,
das ist doch im Westen, nicht wahr? Wie kommt denn Vroni plötzlich in den
Westen? Habt ihr euch gestritten? Und die Kinder sind auch bei ihr! Weshalb
hast du das nicht verhindert? Unvorstellbar, ein Westtelegramm in meinem
Restaurant, Freddy! Ist dir klar, was ich damals bei meiner Einstellung
unterschreiben musste? Ich musste mich verpflichten sämtliche Verbindungen und
Beziehungen zum westlichen Ausland abzubrechen, wenn ich die Funktion einer
Objektleiterin in einem staatlichen Betrieb der Handelsorganisation der DDR
ausüben wolle. Ich habe dir davon nie etwas erzählt. Na ja, jetzt weißt du es.
Warum stehst du denn nicht auf aus deinem Bett? Außerdem habe ich meinem
Kaderleiter all diejenigen Kollegen zu melden, die gegen diese Verpflichtung
verstoßen. Und jetzt bin ich die erste, die sich selbst bei dem Heini anzeigen
muss. Denn die haben ja meine Unterschrift. So steh doch endlich auf, Freddy,
und hilf mir!’
Es
ist mir ein bisschen peinlich, als meine Mutter befremdend ihre
Gesichtsmuskulatur verzieht, während ich mich mit meinen verdreckten
Arbeitsschuhen und dem verölten Oberhemd aus dem Ehebett herausrolle. Mit einem
erzwungenen Lächeln frage ich, ob sie die ganzen Jahre informelle Mitarbeiterin
für diese Verbrecher gewesen sei und sie vergessen habe, was die Kommunisten
mit ihrem Mann beziehungsweise mit meinem Vater gemacht haben.
‚Mein
Junge, ist es nun soweit, dass wir uns voreinander rechtfertigen müssen, ja?
Wofür? Ich sah sooft, wie meine Kellner Westgeld von den Wessis entgegennahmen,
was strengstens verboten war. Hunderttausendmal habe ich meine Augen, meine
Ohren und meinen Mund verschlossen, um nicht mit der Stasi in Berührung zu
kommen. Als das alles begann, warst du noch klein, Freddy. Eigentlich bist du
ja bei Omi aufgewachsen, und das war ja auch richtig, denn ich wollte es so, um
dich von diesem ganzem Dreck und Druck, der ständig auf mir lastete,
fernzuhalten.’
‚Hast
du auch mal gesehen, dass die Staatssicherheit einen deiner Kollegen abgeführt
hat?’ frage ich.
‚Ja
. . .! Und ich konnte es nicht verhindern, Freddy’, antwortet sie und bricht in
Tränen aus.
Dass
meine Mutter weiß, dass ich weiß, dass sie nie und nimmer fähig wäre mit der
Stasi zusammenzuarbeiten, ist uns beiden klar.
Ich
fühle mich nicht in der Lage irgendetwas zu erwidern, zu sagen oder ihr durch
dumme Fragen weh zu tun. Ich fordere sie aber leise und höflich auf, mir –
verflucht noch mal - Vronis Telegramm zu geben, das sie inzwischen mit
geballten Fäusten an ihrer Brust zerknüllt hat.
‚Vroni
macht mir Angst, Freddy, deshalb bin ich ja gekommen’, brach es aus ihr heraus.
‚Mutti,
verdammte Scheiße, du redest und redest, jetzt gib mir doch das Telegramm’,
lamentiere ich, denn in mir beginnt es überzukochen.
‚So
gib mir doch endlich dieses verfluchte Telegramm. Ich bilde mir ein, es
betrifft mich ebenso wie dich.’ ‚Warum regst du dich bloß so auf, mein Junge.
Es steht doch gar nichts drin. Es steht nur drin, dass sie alle gut im Westen
angekommen sind und von denen heißen Kakao und Bananen zur Begrüßung bekommen
haben.’ Ja, Erwin, so ist das: Die kriegen da im Westen heißen Kakao und
Bananen zur Begrüßung, und wir kriegen hier keine Kundschaft mehr.“
Einige
Wochen nach diesem einseitigen Dialog mit meinem Chef Erwin auf dem Hof der
Autowerkstatt „Flotter Trabi“ erhielt ich Post aus einem Kaff in Oberbayern.
Den Ortsnamen hatte ich nie zuvor gehört, doch ich erkannte die Handschrift auf
dem Kuvert.
,Mein
lieber Freddy!
Wie
geht es Dir? Uns geht es gut. Ich arbeite in einem großen Krankenhaus. Die
Kinder und ich wohnen in der Schwesternunterkunft. Ich sehe mich jeden Tag nach
einer Wohnung um, und frage überall. Die Leute sind sehr freundlich und
hilfsbereit hier. Einige haben mir sogar Teppiche, Gardinen und Geschirr
geschenkt. Natürlich keine neuen Sachen, doch wir können alles gut gebrauchen.
Es
ist eine ganz herrliche Landschaft. Weißt Du, Freddy, wenn Du aus Berlin noch
niemals herausgekommen bist, kannst Du so etwas auch noch niemals gesehen
haben. Die Berge sind unbeschreiblich schön. Täglich siehst du die Alpen vor
dir, und jedes Mal erscheinen sie Dir in einem anderen Licht oder Schatten. Am
letzten Sonntag waren wir zum Skilaufen drüben in der Nähe von Salzburg. (Nein,
es heißt wohl Skifahren, oder?)
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