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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Kerzenständer herum, der durch seine Präsenz dieses
Abendessen anscheinend zu einem Festmahl verwandeln sollte. Sie zündete die
Kerzen an, nahm die silbernen Wärmehauben von beiden Tellern, füllte die
Weingläser und forderte mich mit einem freundlichen, doch weiterhin
argwöhnischem Lächeln auf, am Tisch Platz zu nehmen. Es wirkte wie ein Hohn und
eine Erleichterung zugleich, als aus den unsichtbaren Lautsprechern, anstatt
des überhörbaren Kaufhausgedudels, unerwartet Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ im
brillantesten Stereosound erklang.
    Feierlich
erhob Maria ihr Glas und prostete mir stumm zu. Ich erwiderte höflich. Wir
tranken einen kleinen Schluck und begannen zu essen. Während ich nach dem
ersten zögerlichen Biss den Salzstreuer nehmen wollte, packte sie mein
Handgelenk und sagte: „Bitte, benutzen Sie das nicht.“ Im selben Augenblick
schrak sie verstört zurück, als wäre diese Berührung eine Unbeherrschtheit. Mir
fiel der Streuer aus der Hand und einiges Salz, anstelle auf meinen Teller, auf
die Tischdecke.
    „Was
ist denn mit dem Salz?“ fragte ich verwundert.
    „Es
ist ungesund“, war ihre knappe Antwort.
    „Und
weshalb stellst du es dann auf den Tisch?“
    „Weil
es notwendigerweise zum Servieren gehört.“
    Ich
aß zu schnell, auch ohne nachzusalzen. Das Essen war hervorragend. Meine erste
feste Nahrung, seit -, ich weiß nicht wie vielen Wochen. Kauend hörte ich
versonnen der Musik zu. Solche Phänomene treffen nur ganz selten gleichzeitig
zusammen, dachte ich: ein Gaumen- und ein Ohrenschmaus. Ich verspürte ein
ausgesprochenes Wohlbefinden in mir. Wie wunderbar - der erste Satz E-Dur
(Allegro) in Ritornellform gehalten, und die strahlenden Tutti. Der Frühling ist
gekommen, heißt die entsprechende Sonettzeile.
    Nachdem
ich das letzte weiße Stückchen Fleisch genießerisch von der Mittelgräte
gekratzt hatte und den letzten Bissen in mich hinein schob, legte ich das
Fischbesteck ordnungsgemäß auf den hellblauen Porzellanteller, genau wie es mir
meine Mutter einst beibrachte, und tupfte mir mit der frisch gestärkten
Serviette genüsslich den Mund ab.
    „Bitte,
esse ruhig weiter“, sagte ich, als Maria ebenfalls das Besteck ablegen wollte.
„Du darfst diese edle Delikatesse nicht eurer Köchin zurückschicken. Sie wird
uns nie wieder einen solchen Leckerbissen zubereiten. Bitte, esse weiter. Ich
werde dir zusehen.“
    Sie
aß und ich sah ihr zu dabei. Nach knapp einer Minute meinte sie, sie wäre satt.
Diesmal erhob ich das Weinglas. Demonstrativ streckte ich ihr meinen Arm
entgegen. Sie konnte dem Glas nicht ausweichen. Wir stießen miteinander an. Es
klirrte schwach, dann nippten wir kurz.
    „Ich
werde jetzt abräumen. Wollen Sie, dass ich anschließend noch ein wenig bei
Ihnen bleibe?“ „Aber, ja. Bitte, kannst du veranlassen, die Musik abzustellen?
Sie lenkt mich ab, schließlich sollten deine Vorgesetzten deutlich verstehen,
welche Fragen ich dir stellen werde und wie du sie beantworten wirst.“ Sofort
blendete man die Musik aus. Vivaldis klagende Melodie der SoloVioline erhob
sich gerade, um die Tränen eines Bauernburschen zu symbolisieren, der den
hereinbrechenden Sturm des Sommers fürchtet und um sein Schicksal bangt. Trifft
genau auf mich zu: Ich bange auch um mein Schicksal, dachte ich.
    „Sehen
Sie, die hören, was Sie sagen und die sehen, was Sie tun. Wieso duzen Sie mich
eigentlich?“
    „Hm,
weil ich vermute, dass ich dich befruchten soll. Also könntest du mich doch
genauso duzen. Das würde unser Verhältnis eventuell ein bisschen entkrampfen
und vereinfachen. Hattest du schon mal einen Liebhaber?“
    „Nein.“
„Warum nein? Ich nehme an, du bist Anfang Zwanzig, und keinen Liebhaber? Auch
keinen von den hübschen jungen Seminarteilnehmern?“
    „Es
ist verboten mit unseren Gästen zu reden. Ja, Sie haben recht, ich wurde im
Juli dreiundzwanzig.“
    „Wie
war die Party?“
    „Die
Veranstaltung fand unten im Festsaal statt. Fast das ganze Dorf kam zur Feier,
sogar einige der Seminarteilnehmer durften daran teilnehmen. Wir haben gebetet.
Zum Höhepunkt kam es, als die Anrufungen von Baba zu uns durchdrangen. Das war
Anfang Juli. Jetzt ist Mitte September.“
    „Was
denn für Anrufungen? Und wer ist Baba?“ fragte ich, um ihr damit anzudeuten,
dass ich noch nichts von Baba gehört hätte.
    „Baba
ist unser Gott, und wenn er zu uns spricht, nennen wir das ‚Anrufungen‘.“
    „Maria,
du erwähnst andauernd diese Seminarteilnehmer. Was sind

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