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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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hab
ich dich doch noch gekriegt.“ Und dabei strahlte sie mich so offenherzig
treudoof an wie Julia ihren Romeo.
    „Ich
wusste gar nicht, dass du neuerdings deine Beischläfer von der Deutschen
Volkspolizei einfangen lässt, wenn du brünstig bist, du blöde Kuh. Beim
nächsten Mal rufst du vielleicht die Genossen vom Staatssicherheitsdienst an
und behauptest, ich wäre ein Deserteur von der Mielke-Firma“, erwiderte ich und
löste mich gewaltsam aus ihrer Umarmung, wobei ich mich verstohlen in der
Dunkelheit umsah. Die Straßen waren wie leergefegt. Trotz der winterlichen
Kälte, zerrte ich sie hinter eine Hecke auf eine wacklige Parkbank und
vollführte das, wofür ich kurz zuvor über einige Stunden schuldlos eingesperrt
worden war. Natürlich wollte ich sie vergewaltigen, das war doch glasklar, und
sie wollte es auch. Wir wussten ja beiden ganz genau, dass wir pervers waren.
Als die Vergewaltigung nach zwei Minuten ihr abruptes Ende nahm, weil uns eine
ältere Dame mit ihrem Dackel dabei zusah, fuhren wir endlich in Marions
Schrebergarten. Ach ja, wäre die schöne Marion nicht verrückter gewesen als
ich, wäre ich mit höchster Wahrscheinlichkeit Vroni niemals begegnet.
    Solche
grotesken Episoden und bizarren Eskapaden gingen mir durch den Kopf, während
ich mich unmerklich von meiner Heimat entfernte. Geschichten, von denen Vroni
nicht viel weiß, denn sie geschahen vor unserer Zeit.
    Ich
schaute aus dem Fenster. Der Morgen dämmerte schon. Über mir flackerte das
teilnahmslose Neonlicht unbarmherzig weiter. Bei Adlershof bog der
Schienenstrang in Richtung Süden ab – das erinnerte mich noch einmal an Marion,
Fernsehfunk, Parkbank und Schrebergarten, und dass mir danach alles weh tat.
Marions Eltern hatten wegen der Feuchtigkeit in ihrer Laube während der
Wintermonate die beiden Matratzen, die sie normalerweise selber zur
Befriedigung benutzten, zum Austrocknen in ihre Wohnung gebracht, und von dem
antiken Sofa, das neben einem Propangaskocher stand, konnte man nur noch die
verrosteten Sprungfedern erkennen. Ich musste Marion also auf einem
altersschwachen Campingtisch beruhigen.
    Allmählich
hatte man sich an das monotone Schienengepolter gewöhnt. Der Flughafen
Berlin-Schönefeld lag nebelhaft hinter uns. Ich konnte in aller Ruhe weiter vor
mich hin dösen, weil erfreulicherweise niemand auf die Idee kam mir irgendein
Gespräch aufdrängen zu müssen, denn die meisten meiner Mitreisenden schliefen. Selbst
die Kinder brachten keinen Ton mehr heraus. Wieder einmal begann ich meine
Eltern zu verfluchen, da sie mir ein oder zwei Gene vererbt hatten, die mir
nicht erlaubten in öffentlichen Verkehrsmitteln in friedvollen Tiefschlaf zu
versinken.
    Der
Zug bummelte eintönig durch Regen und Schnee. Hin und wieder hielt er ohne
erkennbaren Grund auf freier Strecke. Trotz der lästigen Aufenthalte, entfernte
sich allmählich das graue ebene Land aus der frostigen Kälte des Ostens immer
weiter hinter mir. Zugefrorene Seen und triste Einöde zogen vorüber. Leere
Häuser und verwaiste Werkshallen, an denen immer noch die verlogenen Parolen
des 40. Jahrestages der Deutschen Demokratischen Republik protzten, hatten für
meine neue Welt, in der ich bald leben würde, keinen negativen Einfluss mehr.
Blasse Lichter verblasster Bahnstationen schienen dahin, versuchten trotzig
ihrer unaufhaltsamen Auslöschung in lächerlicher Weise zu erhellen. Vorbei an
trostlosen, zerpflügten Feldern und verlassenen Dörfern malte ich mir himmlische
Perspektiven aus. Schluss mit den ausgedienten Gesetzen des Niemandslandes.
Schluss mit dem abgrundtiefen Nichts des Nichtseins. So verschwand meine
traurige Vergangenheit im Dunkel des Vergessens, und ich blickte voller
Zuversicht in die wohlige, anheimelnde, begehrenswerte, gesamtdeutsche Zukunft
der kommenden neunziger Jahre.
    Als
wir die Zonengrenze erreichten, wurde ich unvermittelt aus meinen rosaroten
Träumen gerissen. Quietschend rutschte unser Zug in den Bahnhof von Probstzella
ein. Schnaufend blieben wir vor dem allgewaltigen Hauptsignal stehen. Rot
bedeutet Stopp – Stopp bedeutet Rot. Mir war das bewusst. Das musste man
akzeptieren, denn dieses einfache Symbol hat ja weltweite Gültigkeit.
    Mit
kalten Blicken bestiegen Genossen der bewaffneten Grenzorgane der Nationalen
Volksarmee verantwortungsbewusst die überfüllten Waggons, kontrollierten die
bescheidenen Stempel in unseren Personalausweisen und durchsuchten Millionen
Koffer und Taschen und Beutel und Säcke. Selbst

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