Das Salz der Mörder
tüchtigen Geschäftsmannes unterliegen,
Ihr Tun aber dann bereuen, machen Sie umgehend von der Möglichkeit Gebrauch,
Ihre Willenserklärung gegenüber dem Verkäufer innerhalb einer Frist von einer
Woche schriftlich zu widerrufen. Lesen Sie bei allen Verträgen auch das
‚Kleingedruckte‘!“ Ich war fassungslos. Auf Schritt und Tritt demonstrierte man
uns, dass wir Ossis dämlich wären. Dies schlug mir dermaßen auf den Magen, dass
es mein Gedärm verstopfte und ich meine Notdurft vorzeitig abbrechen musste.
Verstört drückte ich auf die Wasserspülung. Und da ich mir außerdem wie ein
Analphabet vorkam, vor allem kein Bundesdeutsch verstand, warf ich das kleine
aufklärende Büchlein vor lauter Empörung mit hinterher in die wässrige Tiefe
des stillen Örtchens. Ich drückte erneut auf den Knopf, diesmal kräftiger, denn
Wut kam in mir auf. Eines war klar: Wir mussten hier so schnell wie möglich
raus – weg von all diesen Übersiedlern in der Unterkunft. Womöglich waren die
dazu imstande, unseren neuen Anfang, unseren Versuch noch einmal von Vorn zu beginnen
– aus welchen Gründen auch immer -, zu boykottieren.
Erfreulicherweise
hatte Vroni über Weihnachten dienstfrei. Heiligabend blieben wir „zuhause“. Die
Feier im festlich geschmückten Fernsehraum glich einem Treffen von ehemaligen
DDR-Aktivisten, die ausschließlich von ihrer verpfuschten Vergangenheit redeten
und den Genossen Honecker und Krenz die Pest an den Hals wünschten. Nur den
Kindern fiel es auf, dass sie jetzt im geschenkereichen Westen lebten und sich
vor amerikanischem Plastikspielzeug und japanischen Nintendos nicht mehr zu
retten wussten.
Die
Feiertage waren herrlich. Das Wetter spielte genauso mit - blauer Himmel und
strahlendster Sonnenschein. Der Schnee so weiß wie in der Fernsehwerbung. Am
ersten Weihnachtsfeiertag fuhren wir mit einem Linienbus in das zehn Kilometer
entfernte Salzburg. Ich, mit meinem beschissenen DDR-Ausweis in der
Brieftasche, hatte an der Grenze ein Tagesvisum für das neutrale Osterreich zu
beantragen - ein Visum für das Heimatland meiner Großmutter, meiner geliebten Omi
Leopoldine? Man stelle sich das vor! Ich war stinksauer, denn ich fühlte mich
ja selbst als halber Österreicher. Die Formalitäten zum Grenzübertritt dauerten
nur fünf Minuten. Eine halbe Stunde später hatte ich alles vergessen und wir
standen direkt auf dem Salzburger Weihnachtsmarkt. Die Kinder waren vollkommen
aus dem Häuschen. Die festliche Musik, die tausend fremdartigen Düfte aus aller
Herren Länder, die liebevoll dekorierten Buden, überall bunte Lichterketten,
diese weihnachtliche Atmosphäre, all das erweckte auch in mir ein
unbeschreibliches Glücksgefühl. Für einen Spottpreis kaufte mir Vroni einen
wunderschönen Pullover. Bei jeder Gelegenheit bot man uns an den Ständen
Slibowitz zur Begrüßung an. Ich fragte Vroni hinter vorgehaltener Hand, ob man
mir ansehe, dass ich aus dem Osten komme, weil wir die Getränke nie bezahlen
mussten. Sie lachte bloß, eine Antwort gab sie mir nicht. Das erste Mal in
meinem Leben besuchte ich die Geburtsstadt Wolfgang Amadeus Mozarts. Ich fühlte
etwas Erhabenes in denselben Gassen, in denselben Fußstapfen zu wandeln wie
mein überragendes Vorbild mehr als zweihundert Jahre zuvor. Von irgendwoher
hörte ich einige Fetzen seiner „Zauberflöte“. Ich vergaß sogar kurzzeitig meine
Frau und meine Kinder neben mir, die mir stolz all das zeigen wollten, was sie
schon kannten.
Am
zweiten Feiertag mieteten wir uns ein Auto und fuhren über die verschneiten
Bundesstraßen nach Berchtesgaden. Der Königssee war völlig zugefroren.
Theoretisch hätten wir bis Sankt Bartholome laufen können. Zu jener Kapelle,
die ich früher nur auf kolorierten Postkarten zu sehen bekam. Nun standen wir
auf einem vereisten Steg und sahen fröstelnd zum Watzmann empor. Auf der
nahegelegenen Bobbahn fand ein internationales Rennrodeln statt. Wir
genehmigten uns heißen Grog und mischten uns in das Getümmel entlang der
Eisbahn. Bevor man am Ende den glücklichen Sieger ermittelte, schnallten wir
unsere ausgeliehenen Skier an und machten die Gegend unsicher. Vor allem ich,
der zum letzten Mal vor mehr als zwanzig Jahren auf solchen schneeverwehten
Brettern stand. Nachdem meine Spezialschuhe in den Spezialskiern hörbar
eingerastet waren, sah ich noch einmal zweifelnd an mir herunter, prüfte
abermals den festen Sitz zwischen Mensch und Material und äußerte einige Bedenken
über meine Fähigkeit, den
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