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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Reifen, die Farce mit der
Hansen im Bürgermeisterbüro und als krönender Abschluss die Flasche Bier mit
den außergewöhnlich beruhigenden K.O. Tropfen, die mich dann gänzlich meiner
Sinne beraubten - eine voll ausgereifte, militärisch durchgeführte Entführung,
die nur zu einem Zweck dient: Ihr braucht Männer zum Ficken. Gabriele war nicht
eingeplant, weil sie unter einer Decke auf dem Rücksitz schlief. Die
Großfahndung der Polizei, die meine Frau eingeleitet hat, passt euch nicht,
was? Vielleicht sah man mich irgendwo oder erkannte meinen Wagen. Da müsst ihr
euch wohl noch etwas einfallen lassen, um jeden Verdacht von eurem beschissenen
Dorf abzulenken? Wie oft habt ihr das eigentlich schon gemacht? Und was ich
überhaupt nicht verstehe: Ihr habt doch eure Seminarteilnehmer, um euch mit
ihnen Tag und Nacht vergnügen zu können. Weshalb überfallt ihr obendrein noch
zufällig vorbeifahrende Autos?“
    „Bei
manchen Ausbildungsdurchgängen, speziell während der Urlaubszeit, ist das
männliche Kontingent nicht ergiebig für unsere geschlechtsreifen Dienerinnen.
Zuwenig junge Männer und zu viele Frauen. Doch es ist spät geworden, Manfred.
Wollen wir morgen am Strand spazieren gehen? Wir könnten uns dort an der
frischen Luft weiter unterhalten. Was meinen Sie dazu? Zeit haben wir ja
genug.“
    Zeit
haben wir ja genug, wiederholte ich leise, nachdem Maria meinen Raum verlassen
hatte. Ich begann mit offenen Augen vor mich hin zu phantasieren - Zeit haben
wir ja genug.
    Seitdem
ich meine Uhr wieder hatte, hatte ich auch mein Zeitgefühl wieder. Die Zeit:
jene vierte Dimension, ohne die man die drei anderen nicht verstehen kann. Und
so sah ich auf meine Uhr mit den grünen Leuchtziffern und versuchte zu
erfassen, wie Stunden-, Minuten- und Sekundenzeiger sich in beständig
wiederkehrenden Kreisen drehen, vorbei an feststehenden Zahlenpunkten, die
Maßstab sind für Tage, Monate und Jahre. Maßstab und Messlatte für den
Menschen, dessen Lebensdauer man in Zeiteinheiten misst, dessen Intelligenz man
in IQ misst, dessen Herzströme man mit dem EKG misst, dessen Hirnströme man mit
dem EEG misst und dessen Gefühlsströme man mit dem Lügendetektor misst.
    Und
so sah ich auf meine Uhr und stellte fest, dass der Raum, in dem ich mich
befand, derselbe ist, sich die Zeit aber verändert hatte. Ich, ein Mensch in
Raum und Zeit. Ich, eine veränderliche Größe? Ich, ein veränderlicher Mensch?

28. Weihnachtsüberraschung
     
    Ich
kam mit sechs Stunden Verspätung auf dem Bahnhof in Freilassing an. Endstation.
Durch den starken Schneefall der letzten Tage, war in ganz Oberbayern ein
Verkehrschaos ausgebrochen. Eine eingeschneite Bundesbahnuhr leuchtete trübe
dreiundzwanzig Uhr vier. Nachts, Schnee und Kälte, und ich der einzige
Fahrgast, der aus dem Zug stieg. Die Bahnhofsschalter waren geschlossen, die
Bahnhofskneipe zu, die Straßen menschenleer. Es war Samstagnacht. Was für ein
Kaff. Ich hielt fröstelnd Vronis Briefkuvert in der Hand, aber wen sollte ich
nach dem Weg fragen? Ich tapste ungeschickt und ziellos durch den zermatschten
Neuschnee auf dem Bahnhofsvorplatz. Ehe meine gefütterten Winterstiefel
vollends durchgeweicht waren, gelang es mir ein einsames Taxi zum Halten zu
bringen. Der Fahrer, misstrauisch die Seitenscheibe herunter kurbelnd, forderte
mich zögernd zum Einsteigen auf. Im Wagen herrschte eine behagliche Temperatur.
Nachdem ich meine Wollhandschuhe in den Manteltaschen verstaut hatte, reichte
ich dem Mann Vronis Kuvert. Er nickte stumm und war dabei die Deckenleuchte
auszuschalten. Dummerweise zeigte ich ihm mein Ostgeld. Daraufhin hatte ich den
Eindruck, dass er mit dieser Währung nichts anzufangen wusste, zumal er diesmal
nicht nickte, sondern seinen Kopf schüttelte, gewissermaßen als Zeichen dafür,
mich nicht fahren zu wollen. Er las noch einmal den Absender auf dem Umschlag
und versuchte mir den Weg dorthin zu erklären. Leider sah ich mich nicht in der
Lage seinen bajuwarischen Dialekt zu dechiffrieren. Er verstand mich offenbar
ebenso wenig, denn ich hatte ihm mehrere Male begreiflich zu machen, dass ich
aus Ostberlin komme, seit achtzehn Stunden mit der Bahn unterwegs war, hungrig
und müde sei, und zu meiner Frau und meinen Kindern wollte. Dann wiederholte
ich fortwährend das Wort Krankenhaus, um den Eindruck zu erwecken, ich wäre
krank. Für einige Sekunden sah er mich teilnahmslos an. Schließlich löste er
die Handbremse, legte den Gang ein und fuhr zügig

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