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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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los.
    Das
Krankenhaus, in dem Vroni arbeitete und mit Danny und Gaby wohnte, befand sich
nur fünf Autominuten vom Bahnhof entfernt. Es war inzwischen Mitternacht
geworden, als ich meine einstige und jetzt wiedergewonnene Familie in die Arme
schließen konnte. Vroni fiel mir um den Hals und küsste mich unter Tränen. Dann
weckte sie die Kinder. Schlaftrunken wankten sie ungläubig auf mich zu. Als sie
schließlich feststellten, dass sie nicht träumten, sprangen sie mich an und
schreien: „Vati, Vati, endlich haben wir dich wieder.“
    Lächelnd
verabschiedete sich der freundliche Taxifahrer, ohne das Geld anzunehmen, das
ihm Vroni entgegenhielt.
    Weil
ich mit leeren Händen dastand, sah mich Vroni fragend an. „Mein Gepäck habe ich
mit der Bahn aufgegeben. Glaubst du etwa, ich hätte das ganze Zeug allein durch
die überfüllten Züge schleppen können? In zwei, drei Tagen kann ich es abholen.
Unsere alten Fahrräder habe ich auch mit aufgegeben.“
    Wir
quatschten die ganze Nacht und hörten dazu ununterbrochen den neuen Hit von
Phil Collins „Another Day In Paradise“, was für uns auch irgendwie zutraf – das
mit dem Paradies -, in der Nacht, in jener Nacht zum 24. Dezember 1989. Die
Überraschung war mir gelungen. Was Vroni gelungen war, war mich davon zu
überzeugen, ihren damaligen Abschiedsbrief nicht zu ernst zu nehmen. Sie wollte
mir weh tun, denn zu jener Zeit soll ich angeblich bloß dumm vor dem Fernseher
gesessen und die Veränderungen um mich herum nicht wahrgenommen haben.
    „Ich
nahm sie wahr, als ihr verschwunden wart“, gestand ich, „doch da war es ja
schon zu spät, verdammt noch mal.“ Wir lagen im Bett. Jeder Radiosender dudelte
diesen Phil-Collins-Titel. Sie erzählte mir von ihrer Odyssee: wie sie mit
unserem possierlichen Trabi nahezu vierundzwanzig Stunden auf Achse war. Die
Kinder schliefen zum Glück während der strapaziösen Fahrt und wurden nur wach,
wenn sie Hunger verspürten. Blech- und Pappkarawanen mit dem ovalen
DDR-Kennzeichen zogen, ohne ein Ende nehmen zu wollen, über die verstopften
Fernverkehrsstraßen durch Thüringen, das Vogtland und über das Fichtelgebirge
in Richtung Tschechoslowakei. Ohne Grenzen zu erkennen, wurden sie ständig
irgendwo durchgewunken. Als man Vroni heißen Kaffee ins Auto reichte, wusste
sie, dass sie im Goldenen Westen waren. Doch die Reise sollte noch weitergehen.
Jemand drückte ihr einen Zettel in die Hand, auf dem die Autoroute zu einem
Aufnahmelager in Oberbayern aufgezeichnet war. Oberbayern? Oberbayern kannte
sie nur von der Milka-Werbung. Immerhin, nach sechs Stunden Fahrt fand sie das
Lager. Eine ehemalige Polizeikaserne empfing sie, die sich in der Nähe der
österreichischen Grenze befand. Nachdem Vroni am Vormittag des 10. Novembers
die Kinder in der neuen vorübergehenden Behausung ins Bett gelegt und die
diversen Aufnahmeformalitäten überstanden hatte, schleppte sie sich
schlaftrunken in die Kantine, um vor ihrem zu erwartenden körperlichen und
geistigen Kollaps noch einen starken Kaffee zu trinken. Außerordentlich
anschaulich schilderte sie den völlig überfüllten Speiseraum, in dem ein
monströser Fernsehapparat farbig über der Getränketheke flimmerte und das
Frühstücksprogramm eines Privatsenders ausstrahlte. Bevor sie eine
Sitzgelegenheit fand, verschüttet sie zwischen den Stuhlreihen mindestens die
Hälfte ihres heißen, koffeinhaltigen Getränks und verpasste dadurch einige sehr
interessante Werbeblöcke.
    „Um
den Quatsch, der dort auf dem Bildschirm hin und her flackerte, sehen zu
können“, meinte sie mit ernster Miene, „musste ich ständig meinen Kopf von
einer Seite zur anderen verrenken, weil die vor mir sitzenden Übersiedler wie
verrückt auf und nieder sprangen. Du kannst dir denken, dass mir nach dieser
langen Strapaze alles weh tat. Noch weher tat es mir allerdings, was ich auf
der Mattscheibe zu sehen bekam. Von meinem Kaffee wurde mir übel. Die brachten
einen Fernsehfilm, der war so abgeschmackt, das kannst du dir nicht vorstellen.
Freddy, ganz Berlin steht auf der Mauer, tanzt und singt, wedelt mit Fahnen aus
denen man das DDR-Emblem herausgeschnitten hatte und hackt mit Hämmern und
Meißeln auf den Beton ein. Unfassbar, mir kam fast das Kotzen. Warum senden die
so einen schwachsinnigen Film zu einer Zeit, in der ein kleiner Arschtritt
genügt, um sie umkippen zu lassen, dachte ich. Ringsherum, um mir ringsherum,
wurde applaudiert und gejodelt vor Freude. Ich verstand meine neue Welt

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