Das Salz der Mörder
Maria spielte das Zünglein an
der Waage. Ich hatte eine Idee und wollte davon nicht mehr abweichen, komme,
was da wolle. Um vorsichtig eine Konversation aufzubauen, versuchte ich auf
ihre göttlichen Erleuchtungen und Betrachtungen einzugehen.
„Weißt
du, Maria, ich verstehe nicht viel von diesen Dingen: von Gott und Allah, Jesus
und Mohammed, von Buddhismus und Hinduismus oder deinem Baba, und wie sie sonst
noch alle heißen mögen. Ich wurde in der ehemaligen DDR geboren und bin dort
aufgewachsen. Unsere Arbeiter- und Bauernführung hat uns alles andere als
christlich erzogen. Die hatte eine Heidenangst vor Jesus Christus und seiner
Kirche, was ich bis heute nicht verstehen kann. Dabei ähneln sich die Lehren
des Neuen Testaments mit denen des Sozialismus derart auffällig, man könnte
meinen, die stammten vom selben Autor. Die ähneln sich sogar so sehr, dass ich
durchaus die Kreuzigung des Jesus von Nazareth mit dem Untergang des real
existierenden Sozialismus’ vergleichen möchte. Meinst du nicht auch? Wir sind
das Volk! Wir wollen Kohl, wir wollen keine Honeckers mehr. Verstehst du? Lasst
Barabbas frei und kreuzigt Jesus.“
Ich
biss von meinem Käsebrötchen ab.
„Ich
wusste gar nicht, dass du das Neue Testament gelesen hast, denn du scheinst
dich ja seit kurzem erstaunlich gut damit auszukennen. Jedenfalls kannst du
zwischen Jesus Christus und eurem, ich meine diesen Honecker, nicht solche
Parallelen ziehen. Der war bestimmt genauso Nazi auf seine Art. Gehst du da
nicht ein bisschen zu weit, Manfred?“
„Aber
nein, zumal beide Theorien von der Gemeinschaft ausgehen, von der Gleichheit
der Gesellschaft, und beachten dabei das Individuum nicht, den Einzelnen. Es
kommt auf das Individuum an, nicht auf Strukturen. Der Mensch verändert die
Strukturen und nicht umgekehrt. Die Haupteigenschaft des Lebens ist der Wandel.
Allein durch ständige Herausforderung kannst du dich weiterentwickeln. Ohne
Widerstand keine Veränderung. Ohne Auflehnung gegen das Bestehende gäbe es
Apathie und Desinteresse. Das Ergebnis wäre eine tote Demokratie, vermutlich
eine neue Diktatur. Das ist, meiner Meinung nach, das Hauptdefizit aus diesen
beiden Lehren. Es gibt keine ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘, weil sie niemand
ernsthaft anstrebt, anstreben darf, weil sie den Einzelnen unterdrückt, weil
sie Kreativität kategorisch ausschließt und weil sie letztendlich ein
Vorwärtsstreben, das heißt, einen Fortschritt überhaupt nicht möglich macht.
Und was ist aus der Französischen Revolution geworden? Mord und Totschlag! Wie
hieß der doch gleich, der im Namen Jean-Jacques Rousseaus alles köpfen ließ,
was gegen diese neue Ordnung opportunierte ?“
„Robespierre.“
„Ganz
recht: Maximilian Robespierre. Es konnte ja auch gar nicht anders kommen, denn
wie kann man Freiheit und Gleichheit auf dieselbe Fahne schreiben, wie kann man
bloß solche unüberwindlichen Gegensätze in einem Satz erwähnen? Wenn ich
‚gleich’ sein muss, bin ich nicht ‚frei’. Kurz und gut, Gleichheit ist das
Gegenteil von Freiheit, meine Liebe, so einfach ist das. Und es sind ständig
diese so genannten Führernaturen, die solch ein Kauderwelsch in unsere
verdrehte Welt setzen und nach ihren politischen oder kriegerischen
Zusammenbrüchen der Nachwelt riesige Blutlachen und tonnenschwere
Scherbenhaufen hinterlassen. Verstehst du, was ich sagen will? Gegen herzliche
Brüderlichkeit habe ich nichts einzuwenden, Gott bewahre. Du hast mich doch
verstanden, oder?“
Ich
trank einen Schluck Kaffee, um mir den Mund anzufeuchten. Ich war ins Faseln
abgeschweift.
„Natürlich,
du willst damit sagen, Jesus war ein Faschist. Und jeder, der eine Gemeinschaft
führt ist auch ein Faschist. Baba ist für die Gleichstellung des Einzelnen.
Baba ist für den Frieden in der Volksgemeinschaft. Wenn wir, wir
Gleichgesinnten, ihm folgen, werden wir den Himmel auf Erden haben, das Goldene
Zeitalter. Denn nur Er ist befähigt uns zu führen.“
„Sagtest
du ‚Volksgemeinschaft’? Das habe ich irgendwo schon mal gehört. Von einem
‚Goldenen Zeitalter’ oder einem ‚Tausendjährigen Reich’, das bloß zwölf Jahre
bestand hatte, übrigens auch. Ja, weißt du wirklich, was du da sagst? Ihr
Gleichgesinnte - eine Herde verblödeter Schafe seid ihr. Ohne Widerspruch müsst
ihr eurem Baba folgen, genau wie die Schafe - hinterher trotten, weil es Sein
Himmelreich auf Erden und es Sein Goldenes Zeitalter ist. Ihr habt damit
herzlich wenig zu tun.
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