Das Salz der Mörder
sich vor mir leicht abwärts neigenden Hügel ohne
schwerwiegendere Blessuren bezwingen zu können. Es war klar: Ich hatte das
Gekicher auf meiner Seite. Na toll, doch bei diesem Problem nutzte mir
Gelächter wenig. Aus Danny war mittlerweile ein guter Skilehrer geworden. Er
gab sich alle Mühe, mir ein paar Grundschritte beizubringen. „Vati, du musst
versuchen die Skier parallel zu halten. Ja, genau so. Jetzt beuge dich leicht
nach vorn und belaste die Skispitzen.“ Ich verstand überhaupt nicht, weshalb
sich Vroni und Gaby vor Lachen die Bäuche hielten, obwohl ich mich bemühte so
lange wie möglich auf den Brettern zu verharren. Ich gebe zu, das hat nicht
geklappt, denn ich sah nach diesem Training wie ein Schneemann aus.
Mein
Gott, es war eine schöne Zeit, eine glückliche Zeit.
Salz ist unter
allen Edelsteinen, die uns die Erde schenkt, der Kostbarste. (Justus von
Liebig)
29. Morgenspaziergang
Sonntag,
14. September. Ein herrlicher Spätsommertag. Um acht Uhr früh öffnete sich
meine Schleuse und Maria trat ein.
„Guten
Morgen, Manfred. Sind Sie bereit? Bevor wir gehen, muss ich Ihnen die Hände auf
den Rücken fesseln und einen Leinensack über Ihren Kopf stülpen. Wenn wir aus
dem Haus sind, dürfen Sie sich wieder frei bewegen. Sind Sie damit
einverstanden?“
Misstrauisch
nickte ich. Daraufhin legte sie mir behutsam Handschellen an und zog dann eine
Art Einkaufsbeutel über meinen Kopf. Ich konnte nichts mehr sehen. Sie führte
mich langsam durch die beiden offenen Türen der Schleuse. Ehe wir die erste
Treppe herunterstiegen, drehte sie mich mehrmals um die eigene Achse, so dass
ich vollends die Orientierung verlor. Ich stolperte durch einen langen Flur,
dann Stufen hinunter. Sie öffnete und schloss Ein- und Ausgänge. Wir
durchquerten Räume, Korridore - erneut eine Treppe abwärts. Das Blindsein kam
mir endlos vor. Als mir Maria die Leinenkapuze schließlich abnahm und mich von
den metallenen Fesseln befreite, standen wir an der Rückseite des Weißen Hauses
und ein erfrischender Morgenwind wehte mir ins Gesicht. Seit genau einem Monat
atmete ich zum ersten Mal wieder frische Luft ein. Das tat mir gut. Die
Herbstsonne schien mir unbarmherzig in die Augen. Verblüfft blinzelte ich um
mich: Links und rechts von mir standen zehn ältere Frauen, jeweils fünf auf
einer Seite, mit leichten Sommermänteln bekleidet.
„Sie
sind alle bewaffnet, Manfred, und werden uns bei unserem Spaziergang in
angemessener Entfernung begleiten. Aber zuerst gehen wir zu mir. Das Frühstück
ist fertig. Der Kaffee steht auf der Warmhalteplatte. Ich brauche bloß noch die
Eier kochen. Komm, wir wollen gehen, und lass dich nicht durch die
Altweiber-Riege verunsichern. Sie greifen erst ein, wenn du eine unbedachte
Bewegung machst. Sei also friedlich.“
„Maria,
ich danke dir, dass du mich endlich duzt. Weshalb gerade jetzt? Du hättest mich
doch schon oben in meiner Zelle so nett begrüßen können.“
„Keine
Ahnung. Möglicherweise fühle ich mich unter Bewachung sicherer? Ich sollte dich
beiläufig auf eine Kleinigkeit aufmerksam machen: Ich trage ein Mikrofon mit
einem Sender unter meiner Bluse. Frau Doktor Hansen ist somit allgegenwärtig.“
Ich
hatte mich offenbar mit diesem neuen Umstand abzufinden. Und jetzt brauchte ich
einen Einfall, eine geniale Idee, mit der ich meine bewaffneten Begleiterinnen,
sowie die Hansen ausschalten konnte.
Wir
frühstückten auf der Terrasse, genau wie damals, nur Gaby fehlte. Marias Haus
war umstellt. Zwei postierten sich im Garten, zwei in der guten Stube. Die
anderen sechs Damen dieser Privatarmee schirmten das Gebäude wahrscheinlich von
außen ab. Mir musste unbedingt etwas einfallen. „Ein Königreich für ein Pferd“.
Verflucht noch mal, warum dachte ich ausgerechnet in dieser komplizierten
Situation an Shakespeares Richard III.? Ich sollte mir lieber über Maria Gedanken
machen. Sie redete ununterbrochen von ihrer uneingeschränkten Liebe zu Baba.
Frau Hansen habe ihr den Weg zu einer neuen Welt geebnet. Und sie sei bereit
für das Goldene Zeitalter große Opfer zu bringen. Ich glaubte mittlerweile
Maria ein wenig zu kennen, doch das, was sie im Moment von sich gab, klang mir
zu schwülstig, zu übertrieben, zu sehr für das Mikrofon unter ihrer Bluse
aufgesagt. Ich sprach kaum. Ich musste denken, ich musste nachdenken. Am Ende
hatte ich einen Einfall, ich hatte einen Plan. Es war ein: Entweder - Oder. Das
Resultat ein: Ja oder Nein. Leben oder Tod. Und
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