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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Marmortisch stand. Mit voller Wucht schleuderte sie das gute Stück auf die
steinharte Tischplatte. Ich konnte gerade noch rechtzeitig mit den Armen mein
Gesicht verdecken, sonst . . . Das teure Weihnachtsgeschenk meiner
Schwiegermutter krachte geräusch- und effektvoll auseinander, um dabei in
tausend Scherben zu zerspringen. Für einen Moment war ich unfähig zu denken.
Ich sah nur kleine Kristalle auf dem Teppich funkeln. Die gelbe Glühbirne, der
Stehlampe, die hinter Vroni stand, flackerte leicht, während Franz auf meinem
Sessel herumrutschte, soweit es ging. Hysterisch schrie mich Vroni an: „Briefe?
Ich habe deine verlogenen Briefe ungeöffnet in die Mülltonne geschmissen, denn
Müll gehört zu Müll, und der sollte fachgerecht entsorgt werden. So ist das,
Herr Manfred Wegner. Und nun verschwinde, du Schweinehund! Was glaubst du, wer
du bist? Verschwinde aus meinem Leben. Kommst mitten in der Nacht her und
erzählst mir noch verlogenere Lügengeschichten als früher im Osten. Es gab
Zeiten, in denen du dir bessere Ausreden hast einfallen lassen. Und kannst du
dich vielleicht daran erinnern, als du mal morgens um drei nach einem deiner
Ausflüge mit einem Weiberslip bekleidet in unserem Schlafzimmer erschienen
bist? Sicherlich musstest du die Nutte so überstürzt verlassen, dass du in der
Hitze der Nacht einfach nicht bemerkt hattest, was du anziehst. Es fiel dir
nicht einmal auf, während du den gelben Nylonschlüpfer vor meinen Augen
auszogst. Doch mir fiel es auf, du Hurensohn! Ich habe nichts dazu gesagt, weil
ich dich liebte. Und jetzt Schluss damit. Schluss mit den verfluchten alten
Zeiten. Aus und vorbei. Ich bin keine dumme Gans mehr, Wegner. Werde endlich
erwachsen, aber bitte ohne mich. Hau ab und lass dich hier nie wieder blicken.
Hast du gehört? Verpiss dich, Mensch!“ Ihre Stimme überschlug sich. „Franz, was
sitzt du so dumm herum? Schmeiß den verfluchten Kerl raus! Ich kenn den nicht.“
    Ich
ging von selbst. In der Tür drehte ich mich um und fragte leise: „Darf ich die
Kinder noch einmal sehen?“ Für einen Augenblick erwartete ich tatsächlich eine
Antwort darauf. Franz, der Schrank, gab sie mir. Er stieß mich Schritt für
Schritt durch den schwach beleuchteten Korridor, hinaus in das dunkle
Treppenhaus und meinte in seinem süßlich-bayrischen Dialekt, dass ich nicht
noch einmal versuchen sollte ihm seine Veronika abspenstig zu machen, sonst
passiere was. Dann schlug er die Tür hinter mir zu. Bevor ich verwirrt nach dem
Lichtschalter tastete, hörte ich Vroni wütend schreien: „Der müsste sich mal um
seine Mutter kümmern! Dieses egoistische Schwein!“
    Nachts
halb eins in den menschenleeren Straßen einer Stadt, die nicht mehr meine Stadt
war. Wie konnte es auch meine Stadt sein? Ich bin in diesem Kaff nicht
aufgewachsen, und zum Hineinwachsen blieb zu wenig Zeit. Wo war also meine
Stadt? Wo war mein Zuhause? Wo war meine Heimat? War sie Berlin, war sie
Waldfrieden – meine Heimat? Ich fühlte mich stets dort heimisch, wo meine Familie,
meine Bekannten, wo meine Freunde lebten. „Wo seid ihr, wenn man euch braucht?“
schrie ich in die kalte Nacht hinein. Doch es hallte nichts wider, der Schnee
verschluckte meinen sinnlosen Aufschrei. Wollte mich wirklich keiner mehr? Was
hatte ich bloß getan, um alle und alles zu verlieren? Ein Mensch liebte mich
noch und ich liebte ihn: meine Mutter - das wusste ich. Trotzdem fühlte ich
mich von der ganzen Welt verlassen. Ohne Kampf räumte ich das Feld. Ich verlor
einen Krieg, den ich nicht geführt hatte. Wehrlos schlug man mich in die
Flucht. Ich war verwundet und spürte keine Kraft mehr in mir. Mein Rest von
Zuversicht brach geräuschlos in sich zusammen. Eine Implosion ins Nichts.
    Ich
kannte Vroni: Was sie einmal sagte, war unwiderruflich - es wurde zum Gesetz.
Ja, die Tür hinter mir hatte sie nun endgültig zugeschlagen. Vor mir wehte
Kälte und lag Schnee.
    Ich
schlief im Bahnhofshotel. Die kassierten dafür mein restliches Geld, das von
den Amis übriggeblieben war.
    Am
nächsten Morgen, frisch gewaschen und rasiert, lief ich geradewegs zu meiner
Sparkasse in der Münchner Straße. Wie gewöhnlich füllte ich das Bankformular
aus: Datum, Kontonummer, Summe, Unterschrift. Zögernd nahm das nette Fräulein
hinter dem Kassenschalter meinen Wunsch entgegen. Mit einer unsicheren
Handbewegung deutete sie mir an, dass ich mich an den stellvertretenden
Filialleiter zu wenden hätte. „Was ist denn? Sie kennen mich doch“, sagte

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