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Das Salz der Mörder

Das Salz der Mörder

Titel: Das Salz der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Otto Stock
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Zeugen eines Mordes. Über
ein halbes Tausend - überwiegend ältere Frauen – müssen der Beihilfe zu diesem
Mord angeklagt werden. Was mich und meine drei Mitgefangenen betraf, wurde uns
nach dieser Hinrichtung endgültig klar, dass wir ohne Hilfe von außen hier
niemals lebend herauskommen würden. Hoch oben über uns dröhnte für einige
Sekunden das Geräusch eines Hubschraubers. Ohnmächtig starrte ich in die Höhe,
doch das unbekannte Flugobjekt war bereits mit Höchstgeschwindigkeit im
nächtlichen Dunkel entschwunden. Resigniert senkte sich meinen Blick wieder auf
die tödliche Realität. Ungläubig sah ich zum Brunnen hinüber und konnte die
Beschriftung auf dem zusammengefalteten Papiersack entziffern, den man
inzwischen auf den leeren Rollstuhl gelegt hatte. Die Aufschrift lautete:
Kochsalz.
     
    Das Salz ist etwas Gutes;
    wenn aber das Salz nicht mehr salzt,
    womit soll man würzen?
    Es ist weder für den Acker
    noch für den Mist zu gebrauchen,
    sondern man wird’ s wegwerfen.
    Wer Ohren hat zu hören, der höre!
    Lukas 14,34-35
     
    Kochsalz oder
auch Siedesalz genannt, besteht hauptsächlich aus Natriumchlorid (NaCl). Das
durch Eindunsten und Einkochen von Solen erhaltene Salzgemisch, dient als
Speisesalz. In der Kristallform ist Salz durchsichtig und farblos und ähnelt im
Aussehen einem Eiskristall. Die Zusammensetzung besteht aus Spuren von
Magnesiumchlorid (MgCl2), Magnesiumsulfat (MgSO4), Kalziumsulfat (CaSO4),
Kaliumchlorid (KCl) und Magnesiumbromid (MgBr2).

38. Die Nacht danach
     
    Die
Tür fiel wie immer automatisch in das unsichtbare Schloss. Maria nahm mir den
Leinensack vom Kopf und befreite mich von den lästigen Handschellen. Ohne mich
meiner Sachen zu entledigen, warf ich mich erschöpft aufs Bett. Ich hatte
mittlerweile vieles erlebt, doch derart skrupellos, dass mich das alles kalt
lassen würde, war ich noch nicht. Hinter meinen geschlossenen Augen spulte sich
ein Horrorfilm ab: Ich sah den lebenden Körper des jungen Mannes in die Grube
stürzen und hörte noch einmal diesen dumpfen Aufprall aus der Tiefe. In wenigen
Tagen werden schleimige Würmer Haut und Fleisch zerfressen, und grünliche
Verwesung wird sein blasses Gesicht verfärben.
    „Willst
du, dass ich bei dir bleibe?“
    Mir
war nicht klar, wer da zu mir sprach. War es Maria? War es die Hansen? Ich
konnte nichts mehr unterscheiden. Ich fühlte mich völlig am Ende. Ich dachte an
Kuwait. Damals haben die mit Öl gespielt; heute spielen die mit Salz.
    Meine
Gedanken flogen kreuz und quer durch den Raum. Von Jean-Paul Sartre hatte ich
etwas über Existentialismus gehört, einer Form der Existenzphilosophie, die
unter anderem von der Absurdität des Daseins und von der Existenzangst ausgeht,
von der Vereinzelung des Menschen und dessen Freiheit, sich selbst zu
erschaffen. Er stellt Begriffe wie Freiheit, Tod und Entscheidung in den
Mittelpunkt seiner Philosophie. Dieser Existentialismus ist geprägt von einer
ganz und gar nihilistischen Lebenseinstellung. War ich auch schon ein Nihilist?
War ich auch schon zu einem Verneiner aller Werte geworden, zu einem, der die
Sinnlosigkeit des Daseins anerkennt? Hatten die mich jetzt so weit?
    „Lasst
mich in Ruhe, hört ihr. Hackt mir ein Bein ab und schmeißt mich in euren
verfluchten, versalzenen Brunnen. Der ist doch noch lange nicht voll!“ schrie
ich, danach verließ jemand mein Zimmer und ich war endlich allein.
    Mein
Kopf tat weh, meine Zunge war belegt und schmeckte tatsächlich nach Salz.
Anstatt zu schlafen, sprach ich mit mir selbst: Ich werde versuchen mit Gott zu
reden. Warum gerade jetzt, frage ich? Ich kann Dich nicht belügen, o Herr, ich
brauche Deine Hilfe! Es geht mir schlecht und wieder finde ich keinen Ausweg.
Bist Du es, der mich so schonungslos prüft oder ist es mein Schicksal, das mich
unerbittlich bestraft?
    Niemand
half mir Dich zu ergründen. Mein Vater hatte keine Gelegenheit dazu mich über
Dich aufzuklären. Ich war zu jung, als er starb; und meine Mutter wählte
bedauerlicherweise beständig den Weg des geringsten Widerstandes. Was konnte
sie denn ausrichten gegen das kommunistische System, in dem wir leben mussten?
Wer war in der Lage ihr zu helfen oder Zuspruch zu geben? Die Schrecken des
Terrors während der Stalin-Ära, ein übermächtiger Staatssicherheitsapparat
hatte sich entwickelt, die brutale Verfolgung Oppositioneller - all das
verstärkte ihre berechtigte Angst um den Erhalt ihrer restlichen Familie. Nein,
Mutti war keine Kämpfernatur.

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