Das Salz im See 1: Ein teuflischer Plan (German Edition)
läufst in der Kombi?“ Cannon tat überrascht. In Wahrheit interessierte ihn das überhaupt nicht, jedenfalls nicht in diesem Moment. „Willst wohl endlich was für deine erbärmliche Kondition tun …“
„Im Gegensatz zu dir!“ fiel ihm Sander ins Wort. Er grinste spitzbübisch. „Na, war‘s Stella? Schätze, daß ich heute allein joggen muß.“
Cannon nickte. Zu mehr schien er nicht in der Lage, Stellas Anruf schien ihm plötzlich die Sprache verschlagen zu haben.
„John, komm zu dir! Ich würde mir mal was anderes anziehen! Empfehle edlen Zwirn. Nimm den leichten Sommeranzug, den taubenblauen, natürlich mit Krawatte und Einstecktuch. Das streckt die Silhouette ...“
Bevor Sander richtig in Fahrt kam, fiel ihm Cannon ins Wort. „Keine Eifersucht – ich bin nun ‘mal ein Frauentyp!“ Er rannte zu seinem Spind, wühlte verzweifelt im Kleiderfach. „Shit, beide Kombis sind zerknautscht. Horst, du hast noch eine Originalverpackte. Kann ich die haben? Mit dem Zeug hier kann ich doch unmöglich gehen!“
Sander konnte es nicht lassen. „Wie – doch nicht den Taubenblauen?“
Cannon hetzte an ihm vorbei zur Dusche. „Komm, sei ein Kumpel! Du gibst sie mir doch?“ Der Duschstrahl trommelte auf den Wannenboden. Ende des Dialogs – Cannon hatte es eilig!
Sander trat an seinen Schrank, zog die fabrikfrische Arbeitskombi hervor. Er konnte gönnen! Außerdem war er nicht unglücklich, allein laufen zu können, konnte er doch so eher seinen Gedanken nachhängen. Das Wissen um die Not seiner Familie, gleichzeitig ihr geographisch so nahe zu sein, beschäftigte ihn von Tag zu Tag mehr. Es quälte ihn, sich nicht zu erkennen geben zu dürfen. Die resultierende Niedergeschlagenheit bekämpfte er mit täglich zunehmender körperlicher Herausforderung. Die Rückenschmerzen waren rasch vergessen, er stand bei Block- und Verteidigungsübungen leidlich sicher auf der Matte, wichtiger noch, er fiel, ohne sich zu verletzen. Mit erkennbarer Verbissenheit übte er immer wieder Schlag- und Stoßformen, gleichermaßen geduldig wie ausdauernd folgte er Cannons Anweisungen bezüglich der Bein- und Fußtechniken. Es kostete ihn Überwindung, seinen nur in der spärlichen Freizeit sportlich geforderten Körper zu ungewohnten, zuweilen schmerzhaften Bewegungsabläufen zu zwingen, immer und immer wieder, bis endlich erkennbarer Fortschritt ihn freudig innehalten ließ, wenige Augenblicke nur, um sich erneut zu quälen.
Sicherlich, angesichts seines Alters würde er kein Champion werden, aber Cannon zeigte sich immerhin angetan. Nie und nimmer hatte dieser damit gerechnet, daß in so kurzer Zeit ein halbwegs vorzeigbares Resultat erzielbar wäre. Hinzu kam Sanders bemerkenswerte Kondition, die den Amerikaner vor allem beim Schwimmen immer wieder in Erstaunen versetzte. Diese Entwicklung wurde unterstützt von der Eintönigkeit ihres isolierten Lebens innerhalb der Air Base-Umzäunung. Das werktägliche Programm sah im Rahmen der Legendenpflege zwei-, maximal dreistündige Inspektionen unterschiedlicher Einrichtungen der logistischen Infrastruktur vor. Der Rest war Freizeit, zur Vermeidung bohrender Fragen möglichst fernab des üblichen Angebots. Während Cannon unter allerlei Vorwänden allzu gern die Nähe zu Stella suchte, trieb es Sander nach Abwicklung des üblichen Trainingsprogramms erneut auf Sportflächen und Joggingpfade. Von Cannon gefragt, ob ihm das nicht langweilig würde, antwortete er lakonisch: „Ich war sechs Jahre im Internat. Dort war das Freizeitangebot ähnlich; die Wahl bestand zwischen Kultur und Sport. Ich entschied mich für Sport. Wir spielten an manchen Wochenenden sechs Stunden lang Fußball. Pro Tag, meine ich, an einem Stück!“ Cannon erkannte, daß Sander von seiner Tageseinteilung so schnell nicht abzubringen war. Wer je in seinem Leben sechs Stunden an einem Streifen Fußball spielte, dem würde Eintönigkeit nichts anhaben können.
21. August, 20:30 Uhr Ortszeit; Koblenzer Straße, Frankfurt/Main
„Ja, ich bin‘s, Abdul Muhammad. Was gibt es?“ Das Wahlnußgesicht schien nicht erfreut über den späten Anruf, verhieß dieser doch Komplikationen. Es preßte den Hörer fester ans Ohr, als fürchte er, ein Teil der bevorstehenden Information könne verloren gehen.
Die andere Seite begann ihren Bericht: „Etwas stimmt nicht. Um diese Zeit laufen die gewöhnlich schon. Ali rief soeben an. Sie haben die Unterkunft noch immer nicht verlassen. Es wird bald dunkel sein. Sollen
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