Das Scarlatti-Erbe - Ludlum, R: Scarlatti-Erbe
auf und trat an die Bibliothekstür. Sie schloß sie und drehte den bronzenen Knauf herum.
Janet beobachtete die alte Frau ebenso neugierig wie ängstlich. Es war nicht die Art ihrer Schwiegermutter, irgendwelche Störungen zu befürchten. Jeder unerwünschte Eindringling wurde üblicherweise einfach aus dem Zimmer gewiesen.
»Es gibt nichts mehr zu sagen. Ich will...«
»Richtig. Du hast wenig zu sagen«, unterbrach Elizabeth ihre Schwiegertochter und kehrte zum Schreibtisch zurück. »Hat es dir in Europa gefallen, meine Liebe? Paris, Marseille, Rom? Ich glaube, daß New York dir im Vergleich dazu langweilig vorkommen muß. Unter diesen Umständen hat Europa doch viel mehr zu bieten.«
»Was meinst du damit?«
»Einfach dies. Du scheinst das Leben in Europa auf etwas unvernünftige Art genossen zu haben. Mein Sohn hat sich offenbar die richtige Spielgefährtin für seine Eskapaden ausgesucht. Aber, wenn ich das sagen darf, er war häufig diskreter als du. «
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst. «
Elizabeth klappte die Akte auf. »Wir wollen mal sehen. Da war ein farbiger Trompeter in Paris...«
»Ein was? Wovon redest du?«
»Er hat dich um acht Uhr früh in dein Hotel — entschuldige, in dein und Ulsters Hotel gebracht. Offensichtlich warst du die ganze Nacht mit ihm zusammen.«
Janet starrte ihre Schwiegermutter ungläubig an. Obwohl sie offensichtlich verblüfft war, antwortete sie mit ruhiger Stimme. »Ja. Paris. Ja! Und ich war auch mit ihm zusammen, aber nicht so. Ich versuchte, mit Ulster mitzuhalten, versuchte die halbe Nacht, ihn zu finden.«
»Davon wird hier nichts erwähnt. Man hat dich nur gesehen, wie du, gestützt auf einen Farbigen, ins Hotel kamst.«
»Ich war erschöpft.«
»Hier steht >betrunken<...«
»Dann ist es eine Lüge!«
Die alte Frau blätterte in der Akte. »Und dann eine Woche in Südfrankreich. Erinnerst du dich an jenes Wochenende, Janet?«
»Nein«, antwortete die junge Frau zögernd. »Was machst du da? Was hast du dort?«
Elizabeth stand auf und hielt die Akte so, daß die junge Frau nicht hineinsehen konnte. »Also? Dieses Wochenende bei Madame Auriole. Wie nennt man ihr Château — la Silhouette? Was für ein dramatischer Name!«
»Sie war mit Ulster befreundet.«
»Und du hattest natürlich keine Ahnung, was Aurioles Silhouette in ganz Frankreich bedeutete — und vermutlich immer noch bedeutet.«
»Du willst doch nicht behaupten, daß ich damit etwas zu tun hatte?«
»Und was meinten die Leute, wenn sie sagten, daß sie in Aurioles Silhouette gehen?«
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Was geschieht in Aurioles Silhouette?« Elizabeths Stimme klang jetzt etwas schrill.
»Ich — ich weiß nicht. Ich weiß es nicht!«
»Was geschieht dort?«
»Ich gebe dir keine Antwort!«
»Das ist sehr klug, aber ich fürchte, es genügt nicht. Es ist allgemein bekannt, daß die Höhepunkte auf Madame Aurioles Speisekarte Opium, Haschisch, Marihuana und Heroin sind. Ein Paradies für die Liebhaber aller Arten von Narkotika! «
»Das wußte ich nicht!«
»Du wußtest nichts darüber? Das ist dir ein ganzes Wochenende lang entgangen? Ausgerechnet in jenen Tagen, als die Saison ihren Höhepunkt erreichte?«
»Nein — ja, ich habe es bemerkt und bin weggegangen. Ich verließ das Haus, sobald mir klar wurde, was sie taten.«
»Orgien für Rauschgiftsüchtige, wunderbare Chancen für den kultivierten Voyeur... Tag und Nacht. Und Mrs. Scarlett wußte überhaupt nichts.«
»Ich schwöre dir, daß ich nichts wußte. «
Elizabeths Stimme klang jetzt wieder kontrolliert und sanft, aber fest. »Ich bin sicher, daß du nichts wußtest, meine Liebe. Aber ich weiß nicht, wer dir glauben würde.« Sie hielt kurz inne. »Hier steht noch eine ganze Menge mehr.« Sie blätterte die Seiten um und setzte sich wieder hinter ihren Schreibtisch. »Berlin, Wien, Rom. Insbesondere Kairo. «
Janet rannte auf Elizabeth Scarlatti zu und beugte sich über den Schreibtisch, die Augen voller Furcht. »Ulster hat mich für fast zwei Wochen verlassen. Ich wußte nicht, wo er war. Ich hatte panische Angst.«
»Man hat dich gesehen, wie du die seltsamsten Orte aufgesucht hast, meine Liebe. Du hast sogar eines der schlimmsten internationalen Verbrechen begangen. Du hast ein anderes menschliches Wesen gekauft. Du hast einen Sklaven erworben. «
»Nein! Nein, das habe ich nicht! Das ist nicht wahr!«
»O ja. Du hast ein dreizehnjähriges Arabermädchen in deinen Besitz gebracht, das
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