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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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seinen
Brustkorb.
    Lioba ließ ihn los. Er rang nach Luft. »Gar nicht
so schlecht für den Anfang, Arved«, sagte sie etwas
atemlos. »Ich ruf dich morgen an.« Schneller, als er
sich regen konnte, war sie im Haus verschwunden.
    Und das Schattenbuch mit ihr.

 
13. Kapitel
     
     
    In Hochstimmung hielt Lioba ihr Feuerzeug an das Schattenbuch.
Sie fühlte sich, als habe sich eine Tür in ihrem Leben
geöffnet – nein, keine Tür, sondern ein Portal,
eingefasst in Gold und Silber, und dahinter lag ein gelobtes
Land. Sie spürte noch Arveds Zunge in ihrem Mund,
spürte noch die Wärme seines Körpers, sein
Verlangen, seine Leidenschaft, zu der sie ihn kaum fähig
gehalten hatte. Was willst du eigentlich?, fragte es in ihr.
Einen Sohn, den du bemuttern kannst, oder einen Mann? Arved war
mindestens zehn Jahre jünger als sie, aber was machte das
schon? Zu wenig, um wirklich als ihr Sohn zu gelten. Wie alt
fühlst du dich? Wieder jung.
    Die Flamme züngelte um den Einband, betastete ihn,
schreckte zurück. Lioba schlug das Buch im Waschbecken auf,
hielt das Feuerzeug an die Seiten, aber sie brannten nicht. Alle
Liebesgefühle wichen für den Augenblick. Lioba ging in
ihr Arbeitszimmer, trug einiges an Zeitungen und Magazinen
zusammen, warf sie ins Waschbecken, nachdem sie das Schattenbuch
daraus hervorgeholt hatte, und zündete sie an. Sie brannten
sofort lichterloh. Dann warf sie das Buch hinein.
    Die Flammen erloschen, als habe Lioba Wasser über sie
gegossen. Das Schattenbuch lag geöffnet inmitten der
verkohlten Zeitungen und schien zu grinsen. Lioba verließ
das Bad und ließ sich schwer in ihren Sessel im Wohnzimmer
fallen. Sie versuchte, ihre Gedanken auf Arved zu richten. Schon
wollte sie ihn anrufen – inzwischen musste er wieder zu
Hause in Manderscheid sein –, doch etwas hielt sie davon
ab. Sie hatte ihn durch das Fenster neben dem Eingang beobachtet.
Er hatte noch vor ihrem Haus gestanden, glückstrunken, mit
einem weltverlorenen Lächeln auf den Lippen, dann war er
gegangen. Geschwebt war eigentlich der bessere Ausdruck.
    Hat das Zukunft?, fragte es bohrend in ihr. Er ist ein
großer Junge, der allmählich erwachsen wird. Er
braucht Halt und Liebe. Und du? Hattest du dir nicht geschworen,
keinen Mann mehr anzurühren? Denk an Victor, der so vieles
mit Arved gemeinsam hat. Denk an Manfred, an Jürgen, an
Alexander. An all die anderen, damals. Damals. Es waren
untergegangene Leben, viele. Jedes Mal erfolgte ein Untergang.
Der nächste mit Arved? Sie spürte den Drang, ihr altes
Leben zu verlassen – all diese Bücher, all die
Rätsel – und wieder von vorn zu beginnen. Mit Arved.
Sie dachte an seinen Blick, so tief, manchmal so verloren, so
zärtlich und flehend. Sie dachte an seine sanfte Stimme. Und
daran, wie sie hart geworden war, als er sie über ihr
Vorleben ausgefragt hatte. Hart vor Enttäuschung. Es gab
keinen Zweifel daran, dass er ihre Gefühle erwiderte. Warum
also nicht? Was gab es zu verlieren? Das Schattenbuch hatte sie
zusammengeführt, hatte aus Freundschaft Liebe gemacht.
Vielleicht war es doch kein böses Buch.
    Es wartete im Bad auf Lioba. Unzerstört,
unzerstörbar. Abraham Sauers Schattenbuch hatte sie
verbrennen können. Also musste nun er das ihre verbrennen.
Aber heute war es zu spät dafür. Sie würde ihn
gleich morgen früh aufsuchen und um seine Hilfe bitten.
    In der Nacht träumte sie von Arved, es war ein erotischer
Traum, und Arved verwandelte sich in Abraham, was sie sehr
verwirrte.
    Am Morgen zog sie das einzige Paar Halbschuhe an, das sie
besaß, und dazu einen Rock und eine Bluse. Und sie
schminkte sich – nicht nur die Lippen, sondern ein wenig
Lidschatten, ein wenig Rouge, alles ganz dezent. Es machte eine
andere Frau aus ihr. Was Arved schon bewirkt hat!, dachte sie.
Oder war es Abraham? Wollte sie ihm nicht so bäuerisch wie
beim letzten Mal begegnen? Warum denke ich über Sauer nach?,
fragte sie sich. Arved verspricht mir auf meine alten Tage noch
einmal das Glück. Aber zuerst musste dieses schreckliche
Buch verschwinden, von dem sie fühlte, dass es zwischen
ihnen stand. Erst wenn es vernichtet war, würde Arved das
Interesse an seinem Autor verlieren. Erst wenn es vernichtet war,
würde es keinen schlechten Einfluss mehr ausüben
können. Dann waren sie frei.
    Etwas in ihr flüsterte, dass es nicht so leicht war, wie
sie es sich vorstellte.
    In Abraham Sauers Haus wurde sie von seinem

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