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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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aber
war dann der Brandgeruch gekommen?
    Und wie hatte Jonathan das Buch in das verschlossene Auto
legen können?
    Lioba legte den Kopf auf das Lenkrad und stöhnte laut
auf. Allmählich wurde es ihr zu viel. Sie begriff nicht, was
hier vor sich ging, und sie begriff ihre Gefühle nicht mehr.
Lioba kurbelte das Fenster an der Beifahrerseite herunter und
warf das Buch hindurch. Dann brauste sie wieder los.
    Ihre Fahrt dauerte nicht lange.
    Bereits in der Hindenburgstraße, in Höhe des
Viehmarktplatzes, wurde sie von einem Polizeiwagen mit greller
Sirene und zuckendem Blaulicht überholt, der sie zum Bremsen
zwang. Ein Polizist stieg aus, kam langsam auf sie zu und klopfte
gegen die Seitenscheibe. Wie in Trance öffnete Lioba das
Fenster.
    »Verzeihung, aber Sie haben vorhin etwas
verloren.« Er hielt das Schattenbuch hoch. »Das
Halten auf dem Radfahrweg möchte ich Ihnen ja noch
durchgehen lassen…« Einen Moment lang schaute der
Beamte Lioba ein, er schien zu zögern. Dann fuhr er fort:
»Ihnen scheint es nicht gut zu gehen. Sie sollten
vielleicht nicht mehr weiterfahren, gute Frau. Schalten Sie
besser den Motor ab und steigen Sie aus.«
    Lioba gehorchte benommen. Sie nahm das Buch entgegen, bedankte
sich murmelnd bei dem Polizisten, der ihr noch einen
durchdringenden Blick zuwarf und dann wieder in seinen Wagen
stieg, und begab sich zu Fuß nach Hause.
    Es half kein Trittenheimer Altärchen, es half kein
Zigarillo, es half nicht einmal ein Jim Beam. Sie hatte das Buch
auf den Knien liegen, geschlossen, und starrte den makellos
glatten und sauberen Ledereinband an. Dieses Buch war
hartnäckig. Sie zweifelte nicht mehr an der Wahrheit von
Abraham Sauers dunklen Behauptungen und Mutmaßungen. Drei
Geschichten. Drei Schicksale. Arved kannte sie, aber er wusste
nicht um die Bedrohung. Sie traute sich nicht, ihn anzurufen,
denn sie war nicht mehr nüchtern. Was sollte er von ihr
denken? Dass die wilden Geschichten, die Manfred ihm erzählt
hatte, doch stimmten? Dabei wünschte sie sich so sehnlich,
er wäre hier. Sie wollte ihn in den Armen halten, ihn
spüren. Wie es wohl in Abrahams Umarmung wäre? Sie war
hingerissen von seiner Schönheit, seiner Eleganz, und
bestimmt war er sehr zärtlich.
    Ihre Gefühle wurden wirr und wirrer. Auch die zweite
Flasche Wein brachte keine Besserung. Lioba war nicht so
betrunken, dass sich die Welt mit einem Schleier bekleidete und
schön wurde, aber sie war zu betrunken, um noch einen Gast
zu empfangen oder gar aus dem Haus zu gehen. Sie war zur
Einsamkeit verdammt, obwohl ihr gestern und heute zwei
Männer ihre Liebe gezeigt hatten. Der Abend brach gerade
erst an, aber für Lioba war es schon Nacht. Es gelang ihr
aus irgendeinem Grund nicht einmal, das Buch auf den Tisch zu
legen. Sie blieb einfach sitzen, starrte immer wieder auf den
Einband und schlug es schließlich auf. Das Titelblatt und
die groben Holzschnitte kannte sie ja bereits. Was wäre
verloren, wenn sie den Text las? Dann hatte sie etwas mit Arved
gemeinsam. Ja, war sie nicht gar verpflichtet dazu, auf demselben
Stand wie er zu sein? Er wollte, dass sie das Buch las, und
Abraham wollte, dass sie es nicht tat. Es war also auch eine
Entscheidung für den einen und gegen den anderen. Es war
eine symbolische Wahl.
    Sie begann zu lesen.

 
14. Kapitel
     
     
    Arved lief auf Wolken zu seinem Wagen, fuhr auf Wolken nach
Manderscheid – und stürzte aus den Wolken, als er die
Diele seines Hauses betrat.
    Lilith und Salomé, die beiden nachtschwarzen Katzen,
nahmen mit kläglichem Miauen vor ihm Reißaus. So
hatten sie sich nicht mehr verhalten, seit jenem Tag, als er sie
das erste Mal hatte füttern müssen, weil er
testamentarisch gezwungen worden war, sich ihrer anzunehmen. Er
zog die Stirn kraus.
    »Was ist denn mit euch los? Wollt ihr mir die gute Laune
vermiesen?«, brummte er und ging hinter ihnen her. Er hatte
gesehen, dass sie sich ins Wohnzimmer geflüchtet hatten.
Dort aber fand er sie nicht. Sie hatten sich versteckt. Na, sie
würden schon wieder hervorkommen, wenn es Futter gab.
    Was für ein verrückter Tag! Erst die bösen
Worte von Manfred Schult, dann die lange Kaffeehausunterhaltung
mit Lioba und schließlich dieser Kuss, der ihm das Hirn
leergefegt hatte. Warm durchpulste es ihn, als er an das
Gefühl dachte, das ihr Körper bei ihm verursacht hatte.
Er wollte mit ihr reden, wollte ihre Stimme hören, aber er
traute sich nicht, sie

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