Das Schattenkind
viel dunkler als Jonathans gewesen, hätte man die Brüder für Zwillinge halten können, so ähnlich sahen sie einander. Er schien sich angeregt mit Lady Ireen zu unte r halten.
Jonathan stand auf und ging ihnen entgegen. "Es wird Zeit, daß Sie meinen Bruder kennenlernen, Miß N e wman", meinte er.
Auch Niklas war aufgestanden. Er ergriff David hob ihn hoch und wirbelte ihn herum. "Na, wie geht es meinem Lieblingsneffen?" fragte er scherzend, als er ihn wieder zu Boden stellte. "Du wirst auch von Mal zu Mal schwerer, ju n ger Mann."
David kicherte. "Uns geht es gut", erwiderte er.
"Uns?" Niklas hob die Augenbrauen. "Natürlich, ich verstehe. Wie konnte ich Manuel vergessen?" Er tippte gegen Davids Näschen.
"Niklas, du solltest David in diesen Phantastereien nicht noch u n terstützen", warf Lady Ireen mißbilligend ein. "Der Junge hat viel zu viel Phantasie. Es wird allerhöchste Zeit, daß er in ein gutes Internat kommt. Dort wird man ihm derartige Flausen schon austreiben."
"Ich war auch ein sehr phantasievolles Kind, Ireen", meinte Niklas und legte den Arm um Davids Schultern. "Nicht wahr, Jonathan?" Er lachte. "Denk nur daran, was für Abenteuergeschichten wir uns oft ausgedacht haben."
"Es war eine schöne Zeit", bemerkte sein Bruder. "Aber jetzt möchte ich dir endlich Davids neue Gouvernante vorstellen." Er b e rührte leicht Lauras Arm. "Miß Newman, mein Bruder Niklas Tho r burn - Niklas, Laura Newman. Miß Newman ist in Italien aufgewac h sen und erst wieder seit einigen Wochen in England."
"Dann haben wir etwas gemeinsam, Miß Newman", stellte Niklas mit einem charmanten Lächeln fest und blickte ihr in die Augen. "Wir beide haben sehr viel Zeit im Ausland verbracht." Er nahm ihre Hand. "Wo haben Sie in Italien gelebt? Vor einigen Jahren war ich fünf M o nate auf Sizilien."
"Aufgewachsen bin ich in Rom, Mister Thorburn", erwiderte La u ra. Sie konnte sich dem Charme des Geologen nicht entziehen. Niklas strahlte etwas aus, das ihr Herz berührte. "Zuletzt habe ich auf Capri gelebt."
"Eine wundervolle Insel."
"Ja, es ist sehr schön dort."
"Stell dir vor, Miß Newman hat als Privatsekretärin bei Mistress Winslow gearbeitet. Kannst du dich noch an Tante Muriel erinnern?"
"Winslow", wiederholte Niklas. Er lachte. "Natürlich kann ich mich erinnern. Sie brachte uns immer Schokolade mit, wenn sie unsere E l tern besuchte." Er seufzte auf. "Wie lange ist das jetzt her."
"Erzählst du mir von Afrika, Onkel Niklas", brachte sich David wieder in Erinnerung.
"Natürlich. Außerdem habe ich dir etwas mitgebracht." Er führte den kleinen Jungen zu einem Sessel im Hintergrund des Salons. "Na, was sagst du, David?" fragte er, als er ihm einen riesigen Plüschlöwen reichte.
"Jetzt habe ich zwei Löwen." David drückte strahlend das Plüschtier an sich. Es war fast so groß wie er selbst. "Miß Laura hat mir auch einen Löwen geschenkt."
"David", mahnte Laura, weil sie wußte, daß man das von ihr e r wartete. Immerhin hatte sich ihr Schützling noch nicht für das G e schenk b e dankt.
Verlegen senkte der Junge den Blick. "Danke, Onkel Niklas", sagte er. "Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich freue mich nur so."
"Ist schon gut." Niklas nahm Davids Hand. "Hast du Lust, nachher mit mir im Park eine Partie Kricket zu spielen?"
"Fein." David wandte sich seiner Betreuerin zu. "Spielen Sie auch mit, Miß Laura?"
Bevor die junge Frau noch antworten konnte, sagte Lady Ireen: "Ich nehme an, daß Miß Newman ganz gerne einmal etwas Zeit für sich hätte." Sie schenkte ihr ein reizendes Lächeln. "Wir denken leider nicht oft genug daran, daß Sie sich nicht vierundzwanzig Stunden am Tag um David kümmern können."
Laura glaubte, nicht recht zu hören. Ausgerechnet Lady Ireen stand ihr etwas Freizeit zu. Das waren völlig neue Töne. Wahrscheinlich wollte sie Ihren Schwager damit beeindrucken. Die junge Frau mußte sich eisern beherrschen, um nicht laut zu lachen. Oder befürchtete Lady Ireen, sie könnte sich an Jonathans Bruder hera n machen?
"Miß Laura, bitte, spielen Sie mit." Den Löwen im Arm rannte D a vid zu ihr. Fast wäre er gestolpert.
"Ich werde eine Partie Kricket mitspielen, David", sagte Lady Ir e en. Sie lächelte noch immer, doch ihre Augen blickten Laura jetzt alles andere als freundlich an.
"Ich habe noch einiges zu erledigen, David." Laura strich dem Kleinen durch die Haare. "Außerdem bin ich nicht sehr gut in diesem Spiel. Während meiner Kindheit habe ich es nicht gekannt. Ich
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