Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
her. Vor allem für die Nerven der Schwachen und Erschöpften wirke diese Bouillon Wunder. Ich erfuhr außerdem, wie viel es kostete, in einem Restaurant zu speisen – oder einem Haus der Gesundheit, wie es auch genannt wurde. Es kostete fünf Silberlivres, und das war mehr, als ich in vierzehn Tagen verdiente.
Nach der Kirchenuhr war es schon weit nach neun Uhr morgens, aber das kümmerte mich nicht. Ich hatte keine Lust mehr, einfaches Fleisch, Pudding oder Schinken zu kochen. Ich sehnte mich danach, ein Soufflé zuzubereiten, eine Quintessenz zu kochen, einen Hauch von Nichts. Aber das war nicht der Grund, weshalb ich das Dinner zu Kitts Ehren verdarb.
Auf dem Weg durch die Hotelhalle bemerkte ich den Brief in der Postkiste, der meinen Namen trug. Ich schnappte ihn mir und erwartete, wieder ein paar von Mrs. Garlands tröstenden Worten vorzufinden. Stattdessen las ich nur wenige Zeilen und suchte nach einem Stuhl, auf den ich sinken konnte.
Meine liebe Biddy, du musst dich jetzt für schlechte Nachrichten wappnen. Geh nur in deine Kammer, Liebes, und setz dich hin, denn es tut mir schrecklich leid, dir das schreiben zu müssen. Doch mir bleibt nichts Anderes übrig. Noch vor Weihnachten wurden Jem und Teg recht vertraut miteinander …
Ich legte den Brief beiseite und drückte die Hand auf meine Augen, bis ich das Blut darin pochen spürte. Zu allem entschlossen öffnete ich sie wieder und las weiter.
… und es schien, als trieben sie hinter meinem Rücken ein falsches Spiel. Als Nächstes kam Teg zu mir und sagte, sie bekomme ein Kind von Jem und wisse nicht, was sie tun solle. Ich hab sie so fest verdroschen, wie ich konnte, denn sie ist ein boshaftes, unanständiges Weib und hat Jem genommen, obwohl er dir gehört. Eine Krähe hackt der anderen doch kein Auge aus! Teg hat dafür ordentlich büßen müssen, ich hab ihr ordentlich zugesetzt.
Doch nun, meine Liebe, fühl dich nicht allzu schlecht deswegen, aber ich muss wohl alles erzählen. Die beiden mussten zu Mr. Pars’ Stellvertreter Mr. Strutt gehen, und er hat verkündet, Jem müsse sie heiraten, damit sie der Gemeinde nicht zur Last falle. Er sagte außerdem, Teg müsse auf Mawton bleiben und sich nützlich machen, weil ich sonst kein Küchenmädchen mehr habe. Wir alle waren entsetzt über diese Entscheidung, aber Mr. Strutt ist wohl ein moderner Mann, der eher nach praktischen Grundsätzen entscheidet. Solange Jem auf dem Gut arbeitet, müssen die beiden niemandem zur Last fallen. Du siehst, er hat keine Ahnung, wie wir die Dinge hier in Mawton handhaben und welche hohen moralischen Grundsätze Mr. Pars bisher aufrechterhielt. Er hat sogar so ungerechte Bemerkungen über Mr. Pars gemacht, dass er Gefahr läuft, von uns, den treu ergebenen Beschäftigten, geschmäht zu werden. Nun, Biddy, muss ich dir sagen, dass sie am vergangenen Freitag in der Kapelle in Mawton verheiratet wurden …
Ich warf den Brief weg, dann hob ich ihn wieder auf und riss ihn in Fetzen. Florence rief aus der Küche nach mir, aber ich wollte nur in meine Kammer laufen und dort am Boden heiße Tränen vergießen. Doch ich kam nicht umhin, das versprochene Essen zu kochen. Ich hätte Mr. Kitt mit der Bratpfanne eins überziehen wollen, weil dieses Dinner mir so viel Kummer bereitete. Und Jem Burdett? Für den war es noch zu gut, wenn man ihm bei lebendigem Leib die Haut abzog, die Eingeweide herausriss und ihn verbrannte.
Das Fleisch war darum auf der einen Seite schwarz verbrannt, und aus der anderen rann noch das Blut. Der Pudding hätte wohl als Kanonenkugel getaugt. Die Hälfte dessen, was ich geplant hatte, blieb unerledigt. So fand Florence mich, als ich heiße Tränen über den Koteletts vergoss. Ich zeigte auf mein Herz und deutete an, wie ein Messer immer wieder hineingestoßen wurde.
«Mon amie»
, gurrte Florence, und dass sie mich als ihre Freundin bezeichnete, ließ die Tränen nur noch schneller fließen. Dann band sie sich eine Schürze um und half mir beim Kochen. Ihr verdankte ich die genießbaren Teile des Essens.
Es war eine traurige Tatsache, dass meine Speisen kaum beachtet wurden. Ich glaubte, Mr. Pars werde am nächsten Tag eine Bemerkung über die angebrannten Koteletts machen, aber sonst kam nichts. So war die englische Küche nun mal – ich konnte mir die Finger blutig arbeiten, und niemand schmeckte den Unterschied. Ich erinnerte mich wieder an die köstlichen Speisen und die sorgfältige Zubereitung im
Maison de Santé
und
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