Das Schicksal in Person
nicht. Und es gibt Leute, die ganz leicht alle Parfüms voneinander unterscheiden können. Ich hatte mal eine Tante«, fuhr sie nachdenklich fort, »die behauptete, sie könne es riechen, wenn jemand lüge. Sie sagte, dass diese Leute einen ganz bestimmten Geruch hätten. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber manchmal war sie wirklich ganz erstaunlich. Eines Tages sagte sie zu meinem Onkel: ›Jack, stell den jungen Mann nicht an, mit dem du heute Morgen gesprochen hast. Er hat dich ständig angelogen.‹ Und das hat sich dann als richtig herausgestellt.«
»Ein Gespür für das Böse«, meinte Professor Wanstead. »Sagen Sie mir, wenn Sie so etwas merken. Ich bin froh, wenn ich es erfahre. Ich glaube nicht, dass ich selbst ein besonderes Organ dafür habe. Für Krankheiten ja, aber nicht für etwas Böses hier oben.« Er deutete auf seine Stirn.
»Ich möchte Ihnen kurz erzählen, wie ich mit der ganzen Sache in Berührung kam«, sagte Miss Marple. »Als Mr Rafiel gestorben war, wurde ich von seinen Anwälten zu einem Gespräch gebeten. Sie erzählten mir von seinem Angebot. Dann bekam ich einen Brief von ihm, der nicht das geringste verriet. Ich habe dann eine Weile nichts weiter gehört, bis ich die Nachricht von der Reisegesellschaft erhielt. Man teilte mir mit, dass Mr Rafiel vor seinem Tod für mich einen Platz reserviert hatte, weil er wusste, dass ich mich darüber sehr freuen würde. Es sei als Überraschung gedacht. Ich war sehr erstaunt, nahm jedoch an, dass dies der erste Hinweis auf meine eigentliche Aufgabe sei. Ich dachte, dass ich dann im Verlauf der Reise weitere Hinweise bekommen würde. Und ich glaube, das stimmt. Gestern, nein, vorgestern bekam ich bei meiner Ankunft eine Einladung von drei Damen, die hier in einem alten Haus wohnen. Sie hatten von Mr Rafiel erfahren, dass eine alte Freundin von ihm an dieser Reise teilnehmen würde. Er hatte darum gebeten, sie für ein paar Tage aufzunehmen, da im Reiseprogramm eine sehr anstrengende Klettertour geplant sei, die sie nicht mitmachen könne. Das schrieb er ihnen einige Wochen vor seinem Tod.«
»Und das fassten Sie auch als Hinweis auf?«
»Natürlich«, sagte Miss Marple. »Es kann keinen anderen Grund haben. Er war nicht der Mann, der sich nur aus lauter Mitleid mit einer Dame, die keine anstrengenden Wanderungen mehr unternehmen kann, diese Mühe gemacht hätte. Nein, er wollte, dass ich hingehe.«
»Und das taten Sie. Was weiter?«
»Nichts«, sagte Miss Marple. »Nichts. Nur drei Schwestern.«
»Drei Nornen?«
»Vielleicht. Aber eigentlich machen sie einen ganz normalen Eindruck. Das Haus gehörte ursprünglich einem Onkel, sie sind erst vor einigen Jahren hierhergezogen. Sie leben in ziemlich ärmlichen Verhältnissen, sind nett, aber nicht besonders interessant. Alle drei sind sehr verschieden. Sie scheinen Mr Rafiel nicht gut gekannt zu haben. Jedenfalls hat sich das aus den Gesprächen ergeben.«
»Also haben Sie während Ihres Aufenthalts nichts erfahren?«
»Nur das, was Sie mir eben auch sagten, die reinen Tatsachen. Ein altes Dienstmädchen, das noch den Onkel erlebt hatte, erzählte es mir. Mr Rafiel kannte sie nur dem Namen nach. Aber über den Mord wusste sie genau Bescheid. Es begann alles mit dem Besuch von Mr Rafiels Sohn. Sie erzählte, dass er ein übler Bursche gewesen sei, wie das Mädchen sich in ihn verliebt und er das Mädchen erwürgt habe und wie traurig und tragisch und schrecklich alles gewesen sei. Eine ziemlich blumige Erzählung natürlich. Sie sagte, dass es nach Ansicht der Polizei nicht sein erster Mord gewesen sei.«
»Und für Sie schien die Sache keinen Zusammenhang mit den drei Nornen zu haben?«
»Nein. Nur, dass sie das Mädchen in ihrer Obhut hatten und es sehr liebten.«
»Könnten sie nicht etwas wissen – irgendetwas über einen anderen Mann?«
»Ja – den brauchen wir, nicht wahr? Der andere Mann – so brutal, dass er keine Hemmungen hatte, dem Mädchen, nachdem er es getötet hatte, den Kopf einzuschlagen. Die Sorte Mann, die vor Eifersucht wahnsinnig wird. Es gibt solche Männer.«
»Und sonst geschah gar nichts Seltsames in dem alten Haus?«
»Im Grunde nicht. Eine Schwester, ich glaube, es ist die jüngste, hat viel über den Garten gesprochen. Sie machte den Eindruck, als sei sie eine ganz leidenschaftliche Gärtnerin, aber das kann nicht stimmen, denn sie kannte die meisten Pflanzennamen gar nicht. Ich stellte ihr ein paar Fallen, nannte besonders seltene Sträucher und fragte
Weitere Kostenlose Bücher