Das Schicksal in Person
die Schulleiterin. Ich glaube, sie ist vor einiger Zeit pensioniert worden, etwa vor einem halben Jahr. Damals habe ich es in der Zeitung gelesen. Es hat ja etwas Wirbel gegeben um die neue Leiterin. Eine verheiratete Frau, ziemlich jung, Mitte oder Ende Dreißig. Mit ganz modernen Ideen. Gibt den Mädchen Kosmetikunterricht und erlaubt ihnen, Hosen zu tragen und so weiter.«
Mr Broadribb räusperte sich und drückte damit sein Missfallen aus. »Sie wird kaum je so einen Ruf haben wie Elizabeth Temple. Sie war wirklich eine Persönlichkeit. Und sie war sehr lange in Fallowfield.«
»Ja«, sagte Mr Schuster etwas gelangweilt. Er wunderte sich, dass sich Broadribb auf einmal so für eine verstorbene Schulleiterin interessierte.
Beide Herren hatten kein besonderes Interesse an Schulen, denn ihre Kinder waren über das Alter hinaus. Mr Broadribbs einer Sohn war im Staatsdienst, der andere arbeitete bei einer Ölgesellschaft. Und Mr Schusters Sprösslinge besuchten die Universität, wo sie ihren Professoren so viele Schwierigkeiten wie möglich machten. Mr Schuster fragte: »Was ist mit ihr los?«
»Sie hat eine Autobusreise gemacht«, sagte Mr Broadribb.
»Immer die Autobusse«, sagte Mr Schuster. »Ich würde keinem Familienmitglied erlauben, so eine Reise mitzumachen. Ein Bus ist erst letzte Woche in der Schweiz in eine Schlucht gestürzt, und vor zwei Monaten ist ein anderes Busunglück passiert, ein Zusammenstoß. Es gab zwanzig Tote. Weiß der Himmel, was die heutzutage für Fahrer haben.«
»Es war eine Reise von Houses and Gardens oder wie die sich nennen«, sagte Mr Broadribb. »Sie wissen schon, was ich meine.«
»Ach ja, natürlich. Auf eine solche Reise schickten wir doch auch diese Miss Soundso. Die Reise, die der alte Rafiel noch buchte.«
»Miss Jane Marple, ja, die war dabei.«
»Aber sie ist doch nicht auch getötet worden?«, fragte Mr Schuster.
»Soviel ich weiß, nicht«, sagte Mr Broadribb. »Obwohl ich mir darüber auch schon Gedanken gemacht habe.«
»War es ein Verkehrsunfall?«
»Nein. Sie waren unterwegs zu einem Aussichtsturm. Ein schwieriger Weg, ziemlich steil, mit Felsbrocken und so weiter. Ein Stein hat sich gelöst, ist den Abhang hinabgerollt und hat Miss Temple getroffen. Sie wurde mit einer schweren Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht und starb dort.«
»So ein Pech«, sagte Mr Schuster und wartete auf die Fortsetzung des Berichts.
»Es ist nur merkwürdig«, meinte Mr Broadribb, »dass das Mädchen in Fallowfield war.«
»Welches Mädchen? Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden, Mr Broadribb.«
»Das Mädchen, das der junge Michael Rafiel ermordete. Mir sind gerade ein paar Dinge eingefallen, die mit dieser seltsamen Jane-Marple-Angelegenheit zu tun haben könnten, die den alten Rafiel so beschäftigt hat. Hätte er uns nur mehr erzählt!«
»Sie meinen, da gibt es einen Zusammenhang?«, fragte Mr Schuster. Er schaute seinen Partner interessiert an. Sein juristisch geschultes Gehirn begann zu arbeiten, und er machte sich bereit, Mr Broadribb seine eigene Meinung zu präsentieren.
»Dieses Mädchen. Ich kann mich jetzt nicht mehr an ihren Namen erinnern. Hope oder Faith oder so ähnlich. Verity, ja, das war es, Verity Hunt. Sie gehörte zu einer ganzen Mordserie. Man fand ihre Leiche in einem Tümpel, etwa dreißig Meilen von ihrem Heimatort entfernt. Sie war schon sechs Monate tot. Offensichtlich erwürgt, mit eingeschlagenem Kopf und Gesicht, wohl um eine Identifizierung zu verhindern. Doch man hat sie identifiziert. Kleider, Handtasche, Schmuck, auch irgendeine Narbe oder ein Muttermal. Ja, man hat sie ganz leicht identifizieren können.«
»Und um sie ging es in diesem Prozess, nicht wahr?«
»Ja. Man hat Michael im Verdacht gehabt, in jenem Jahr noch drei andere Mädchen getötet zu haben. Doch für die anderen Fälle gab es nicht genügend Beweismaterial, und so konzentrierte sich die Polizei auf diesen einen Fall. Michael hatte Vorstrafen – Körperverletzung und Vergewaltigung. Na ja, man weiß ja, was heute Vergewaltigung genannt wird. Die Mutter überredet das Mädchen, den jungen Mann der Vergewaltigung zu beschuldigen. Dabei hat der meist so etwas gar nicht nötig: Sie quält ihn so lange, bis er mit ihr nach Hause geht und mit ihr schläft. Das ist meist kein Problem, wenn Vater und Mutter bei der Arbeit sind.« Mr Broadribb machte eine Pause. Dann sagte er: »Aber darauf kommt es im Augenblick gar nicht an. Ich frage mich, ob es da nicht
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