Das Schicksal in Person
einen Zusammenhang gibt. Ich könnte mir denken, dass diese Jane-Marple-Angelegenheit etwas mit Michael zu tun hat.«
»Man hat ihn doch für schuldig erklärt, nicht wahr? Und man hat ihm Lebenslänglich gegeben?«
»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern, es ist schon zu lange her. Vielleicht ist er auch mit verminderter Zurechnungsfähigkeit weggekommen.«
»Und Verity Hunter oder Hunt wurde in dieser Schule erzogen, in Miss Temples Schule. War sie noch Schülerin, als sie ermordet wurde?«
»Nein, nein. Sie war achtzehn oder neunzehn und lebte bei Verwandten oder Freunden ihrer Eltern. Ein ordentliches Zuhause, nette Menschen, ein nettes Mädchen, was man so hörte. Die Art Mädchen, von der die Verwandten immer sagen: ›Sie war ein sehr stilles Kind, ziemlich scheu, hat sich nicht mit fremden Leuten eingelassen und hatte keine Männerbekanntschaften.‹ Verwandte wissen oft nicht, ob die Kinder Freunde haben oder nicht; die Mädchen können das meistens sehr gut verheimlichen. Und der junge Rafiel soll sehr auf Mädchen gewirkt haben.«
»Man hat nie bezweifelt, dass er der Täter war?«, fragte Mr Schuster.
»Nein. Im Zeugenstand hat er eine Menge Lügen erzählt. Sein Anwalt hätte verhindern sollen, dass er aussagte. Ein paar Freunde gaben ihm ein Alibi, das dann nicht standhielt. Alles gerissene Lügner, diese Freunde.«
»Und was haben Sie für ein Gefühl in dieser Sache, Broadribb?«
»Ich habe keine Gefühle«, erklärte Mr Broadribb. »Ich frage mich nur, ob der Tod dieser Frau Bedeutung hat.«
»In welcher Hinsicht?«
»Nun, wissen Sie, was diese Steinbrocken anbetrifft, die von Klippen herunterfallen und jemand erschlagen. Das ist nicht unbedingt der natürliche Verlauf. Meiner Erfahrung nach bleiben solche Steine meist dort, wo sie hingehören.«
14
» V erity«, sagte Miss Marple.
Elizabeth Margaret Temple war am vergangenen Abend gestorben. Es war ein friedlicher Tod gewesen. Miss Marple saß wieder inmitten der verblassten Chintzbezüge im Salon von Old Manor House. Sie hatte das rosa Babyjäckchen, an dem sie gestrickt hatte, durch einen purpurroten Schal ersetzt. Dieser Anflug von Halbtrauer gehörte zu Miss Marples viktorianischem Taktgefühl angesichts eines tragischen Todesfalles.
Am nächsten Tag sollte eine gerichtliche Untersuchung stattfinden. Man hatte den Vikar benachrichtigt, und er hatte sich einverstanden erklärt, in der Kirche einen kurzen Gottesdienst abzuhalten. Leichenbestatter in dunklen Anzügen mit dazu passenden Trauergesichtern kümmerten sich um alles Notwendige, zusammen mit der Polizei. Die Untersuchung war für elf Uhr festgesetzt. Die Mitglieder der Reisegesellschaft hatten sich einverstanden erklärt, ihr beizuwohnen. Und einige von ihnen hatten beschlossen, noch länger zu bleiben, um auch am Gottesdienst teilnehmen zu können.
Mrs Glynne war zum Golden Boar gekommen und hatte Miss Marple gedrängt, ins Old Manor House zurückzukehren, bis die Reise weiterginge. »So können Sie den Reportern entkommen«, hatte sie gemeint.
Miss Marple hatte sich bei den Schwestern herzlich bedankt und die Einladung angenommen.
Der Omnibus sollte anschließend an den Gottesdienst für die Reisegesellschaft bereitstehen. Zuerst würde man nach South Bedestone fahren, das fünfunddreißig Meilen entfernt war, und in einem guten Hotel absteigen, das ursprünglich nur für eine kurze Rast vorgesehen gewesen war. Dann würde die Reise weitergehen wie geplant.
Miss Marple nahm an, dass einige Teilnehmer die Reise nicht fortsetzen würden. Beide Entscheidungen hatten etwas für sich. Entweder eine Reise abbrechen, die voll trauriger Erinnerungen war, oder eine Reise wieder aufnehmen, für die man schon bezahlt hatte und die nur durch einen Zwischenfall unterbrochen worden war, wie er überall hätte geschehen können.
Miss Marple hatte mit ihren Gastgeberinnen eine Unterhaltung begonnen, wie sie der Situation angemessen war, dann hatte sie sich ihrem purpurroten Schal gewidmet und überlegt, wie sie weiter vorgehen sollte. Und so kam es, dass sie, ihre Finger immer noch beschäftigt, das eine Wort aussprach: »Verity.« Sie warf es hin wie einen Köder, um zu beobachten, wie die Reaktion sein würde. Falls es überhaupt eine Reaktion gäbe. Würde dieses Wort auf ihre Gastgeberinnen eine Wirkung haben? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wenn nicht, würde sie es heute Abend beim Essen mit den anderen Mitgliedern der Reisegesellschaft noch einmal probieren. Es war
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