Das Schiff aus Stein
war da noch etwas. Coralia hatte auf dem Flutmarkt den Kontakt zu Rufus’ Mutter gesucht. Und sie hatte gesagt, dass sie seiner Mutter wertvolle Artefakte besorgen könnte, damit diese mit ihnen handelte. Weil seine Mutter in finanziellen Dingen ja wohl klüger wäre als er …
»Rufus?!« Gino Saurini fasste nach Rufus’ Schulter. »Du bist ganz bleich geworden! Was hast du?«
Rufus schüttelte den Kopf. »Ach, nichts …«
Doch dann hielt er inne. Wenn rauskam, dass seine Mutter in dieser Sache wirklich mit drin steckte, würde er nie mehr glücklich werden. Und von der Akademie würde er bestimmt auch fliegen. Und doch musste er zugeben, dass er Coralia und ihr so etwas zutraute. Der Gedanke war scheußlich, aber er ließ sich nicht mehr verdrängen. Er hatte nicht das Recht, es zu verheimlichen, wenn sein Verdacht zutraf. Aber er wollte seine eigene Mutter auch nicht einfach beschuldigen.
Verzweifelt biss Rufus sich auf die Lippen.
Es gab nur eine Lösung. Er musste selbst herausfinden, was wirklich vor sich ging.
»Ich mache mir Sorgen, Direktor Saurini«, stammelte er. »Das ist eine schreckliche Situation. Und ich finde es auch schrecklich, dass das alles mit einem Artefakt passiert, für das ich verantwortlich bin.« Rufus schwieg kurz und wollte gerade hinzufügen, dass er genau wie die Meister alles unternehmen werde, um zu verhindern, dass der Akademie noch etwas Schlimmeres geschehe, als auf einmal etwas wie ein neue Stimme in ihm erklang.
Aber diese Stimme sprach nicht in Worten, sondern in Bildern. Es war die Akademie selbst, die ihre Stimme erhoben hatte, und sie schickte ihm …
Rufus traute seinen Augen kaum. Plötzlich stand er auf Planken unter einem Segel. Das Meer vor ihm war tiefblau, der Schiffsbug ragte voraus, und der hölzerne Steven hatte die Form eines Entenkopfs. Das Schiff hob und senkte sich und die flachen Meereswogen rollten auf den Horizont zu. Doch das alles geschah unglaublich langsam. Rufus hatte das Gefühl, sogar den Wind sehen zu können, der in das Segel fuhr. Es war, als geränne der Augenblick zu einem großen Tropfen, in dem die Zeit ihr übliches Tempo verloren hatte.
»Ein Schiff«, murmelte Rufus. »Ich bin auf einem Schiff!«
»Ja, dein Platz ist hier an der Akademie«, hörte er plötzlich die Stimme James McPhersons. »Für den Diebstahl bin ich zuständig. Keine Angst!«
Auf einmal spritzte Gischt in Rufus’ Gesicht, Planken ächzten und stöhnten. Das Segel flatterte schnell und schlug laut.
»Rufus?«, rief ihm Saurini zu. »Bist du in einer Flut?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Rufus. Er sah den Direktor an, der immer noch vor ihm stand. Und auch der Brunnen des Silen schimmerte durch die Wellen. »Ja, es ist, als käme eine Flut. Ganz weit weg. Vielleicht bei den anderen und ich spüre sie auch. Ich kann es nicht genau sagen. Sie beginnt gerade oder kündigt sich an, sie ist noch schwach …«
Direktor Saurini hielt sich die Augen zu. »Ich kann sie auch spüren! Oh, meine Güte, fühlt sich das gut an. Ich habe so lange keine Flut mehr erlebt. Sie kommt bestimmt aus dem Kanal. Wie gerne wäre ich dabei. Aber ausgerechnet jetzt darf ich nicht hinsehen! Wenn die Akademie in Gefahr ist, werde ich hier gebraucht.«
»Was soll ich tun?«, fragte Rufus.
James McPherson lächelte. »Kein Rätsel ist es wert, nicht gelöst zu werden. Du musst sofort zurück in den Kanal. Wenn es eine Wasserflut ist, solltest du dort sein. Es ist der beste Ort in der Akademie, um sich mit einer Flut zu beschäftigen, in der große Gewässer eine Rolle spielen.«
Rufus nickte. Im selben Augenblick war die Welt wieder wie zuvor. Das Meer war verschwunden, der Himmel war nicht mehr blau, und Rufus stand im Gang zum Hof des Silen und sah auf die düsteren, hohen Mauern um sich herum. Und doch spürte er immer noch das Rollen des Schiffs und die Gischt auf seinen Wangen. Und er war sich sicher, dass die Flut gleich zurückkommen würde.
»Ich muss los!«, sagte er.
James McPherson trat auf Rufus zu und berührte ihn sanft an der Schläfe. »Nimm es leicht, und es wird gelingen.«
Bei diesen Worten strahlte Rufus’ Herz auf.
Dann rannte er aus dem Gang und jagte über die Stufen hinab zum Kanal, durch den dunklen Tunnel, zum Rochusturm.
Die Akademie hatte ihm eine Flut geschickt. Vielleicht war es sogar seine Flut, ausgelöst von seinem Fragment, der blauen Glasscherbe …
Aber das war eigentlich egal. Die Akademie hatte ihm auf seine Fragen geantwortet, auf ihre
Weitere Kostenlose Bücher