Das Schiff der Abenteur
hinter dunklen Brillengläsern verborgen waren.
»Man weiß nie, was die Menschen denken, wenn man ihre Augen nicht sieht«, sagte Lucy schließlich.
»Wahrscheinlich habe ich meine Vorliebe für Geschichte von Onkel geerbt«, meinte Lucius, ohne Lucys Einwurf zu beachten. »In Geschichte bin ich immer der Beste. Aber in allen anderen Fächern habe ich schlechte Zensuren. Und Sport hasse ich.«
»Das hast du uns schon erzählt«, bemerkte Jack.
»Na so was!« rief Lucius erstaunt. »Das ist mir gar nicht aufgefallen. Aber ich finde Sport wirklich schrecklich.«
»Sechzehnmal«, stellte Lucy fest.
»Zimperliese! Gänseliese!« rief Juki. Die Kinder kicherten und stießen sich gegenseitig an. Kiki traf den Nagel wieder einmal auf den Kopf. Lucius war so albern und leichtgläubig, dabei oft zimperlich und empfindlich wie ein Mädchen. Man konnte wirklich nicht viel mit ihm anfangen. Allerdings hatte er auch seine guten Seiten. Er war weder boshaft noch hinterlistig, sondern offenherzig und liebenswürdig und lachte gutmütig mit, wenn die Kinder sich über ihn lustig machten.
»Ist es wirklich wahr, daß dein Onkel einige von diesen Inseln besitzt?« fragte Jack, dem die Sache keine Ruhe ließ.
»Aber ja! Warum sollte ich euch beschwindeln? Augenblicklich ist er der Besitzer von Oupos. Und die nächste Insel, an der wir vorbeikommen, gehört ihm ebenfalls. Sie heißt Helios. Aber er wird sie wohl bald wieder verkaufen.
Er hatte Männer hingeschickt, um dort Ausgrabungen machen zu lassen. Sie haben jedoch nicht viel gefunden.«
»Was haben sie denn gefunden?« fragte Lucy neugierig.
»Ach, nur drei alte Vasen. Natürlich waren sie zerbrochen. Fast alles, was von den Inseln kommt, ist kaputt.
Einmal fand mein Onkel ein paar alte Dolche, dann noch allerlei anderes Zeug, Tonscherben und Schmuckstücke, die meistens nicht viel wert sind. Neulich brachte er mir eine kleine geschnitzte Gans mit.«
»Na so was! Gänseliese!« rief Kiki, der bisweilen schweigend zugehört hatte.
»Halt den Schnabel, Kiki!« sagte Jack ungeduldig. »Er-zähle weiter, Lucy — ich meine Lucius.«
Lucius machte ein beleidigtes Gesicht. »Na so was!
Warum bist du so häßlich zu mir?«
»Fang bloß nicht gleich an zu heulen, sondern erzähle lieber weiter«, sagte Jack, dem es unverständlich war, daß ein Junge so empfindlich sein konnte.
»Kennst du noch mehr Geschichten von den Inseln?« fragte Lucy, als sie bemerkte, daß Lucius ernstlich ge-kränkt war.
Er blickte sie dankbar an. »Ja, ich kenne noch viele. Da ist zum Beispiel die Geschichte von Andras Schatz. Sie soll wirklich wahr sein, wie mein Onkel mir oft versichert hat.«
»Los, erzähle!« Philipp kraulte Micki, der auf seinem Arm eingeschlafen war.
Lucius blickte nachdenklich aufs Meer hinaus, räusperte sich und begann zu erzählen. »Vor vielen hundert Jahren lebte ein König mit dem Namen Panlostes. Die genauen Jahreszahlen habe ich leider vergessen. Sein Königreich lag auf einer dieser Inseln, die früher eigene Herrscher hatten, wie ihr wohl wißt. Dieser König hatte einen Sohn.«
»Wie hieß er?« fragte Lucy.
»Das weiß ich nicht. Er erlitt als Kind einen Unfall. Dabei verlor er ein Auge und verletzte sich einen Fuß, so daß er sein Leben lang hinkte. Als er erwachsen war, verliebte er sich in Andra, die Tochter eines griechischen Königs auf dem Festland, und wollte sie heiraten.«
»Aber sie wollte ihn nicht haben, weil er nur ein Auge hatte und hinkte«, unterbrach Jack die Erzählung. »Und sie liebte einen anderen, den sie heiraten wollte.«
»Ach, du kennst die Geschichte?« fragte Lucius ein wenig enttäuscht.
»Nein. Aber ich kenne viele andere Geschichten, in denen es immer so ist«, erklärte Jack. »Erzähle weiter.«
»Andras Vater gab die Einwilligung zur Heirat seiner Tochter mit dem einäugigen Prinzen«, fuhr Lucius fort.
»Dafür sollte König Panlostes ihm Gold, Waffen und Edelsteine im Werte eines halben Königreiches senden. Panlostes belud also eine Flotte mit allen möglichen Schätzen, und eines Tages segelten die Schiffe von der Insel nach dem Festland hinüber.«
Lucy blickte träumerisch über das blaue Meer. Sie sah im Geiste eine Flotte von schwerbeladenen Schiffen mit geblähten Segeln durch das Wasser gleiten. Sie hörte die scharfen Kommandos des Kapitäns, das Knarren der Schiffsplanken, das Knattern der Segel.
»Andra aber benachrichtigte den Mann, den sie liebte, von allem, was geschehen war«, fuhr Lucius in
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