Das Schiff der Hoffnung
und Höhen mit wundervoller Weitsicht.
»Rechts von uns liegt Neapel«, sagte Marion etwas wehmütig, als sie das Straßenschild las. »Man könnte den Vesuv sehen, Capri, Ischia, Pompeji … Kinderträume, an denen wir jetzt vorbeifahren.« Sie beugte sich zu Frank hinüber. »Liebling, kannst du nicht den kleinen Umweg über Neapel machen?«
»Jede verlorene Stunde kann einen Tag längeren Wartens in Bari bedeuten. Neapel läuft nicht weg, das sieht in 100 Jahren noch genauso postkartenromantisch aus wie heute. Aber in Bari müssen wir um die Zeit rennen!«
»Es war ja nur ein kleiner Gedanke.« Marion lehnte sich wieder zurück. »Verzeih. Du hast ja recht.« Sie war sanft wie eine Taube.
Am Nachmittag waren sie in Foggia. In einer Trattoria aßen sie ein paar Happen und tranken Fruchtsaft. Dort kaufte Hellberg auch die neueste Zeitung. Auf der ersten Seite stand ein großer Bericht aus Bari. ›Ansturm auf Krebsheilmittel.‹ Der Reporter schilderte in mitreißenden Worten den Sturm auf die Schiffskarten. Daneben veröffentlichte ein italienischer Professor Dr. Cradeno seine Ansicht über das neu entdeckte Wundermittel HTS. »Ich warne!« schrieb er. »Ich warne alle! Auch dies ist wieder ein Irrlicht wie viele vor ihm. Es gibt kein sicher wirkendes Chemotherapeutikum gegen den ›Krebs‹. Brustkrebs ist etwas ganz anderes als Magenkrebs oder Darmkrebs. Laßt euch nicht in Panik jagen! Wartet die klinischen Untersuchungen von HTS ab …«
Frank Hellberg vernichtete die Zeitung, ohne sie Claudia oder Marion gezeigt zu haben. Was dieser Professor Dr. Cradeno schrieb, war auch seine Ansicht. Aber wenn man sieht, wie sich ein Kranker an die Hoffnung klammert … Man kann, man darf ihn nicht enttäuschen. Der Lebenswille ist gerade bei einem Krebskranken ungeheuerlich. Er sprengt alle Maße. Und die Hoffnung ist der große Motor, der ihn immer wieder antreibt.
Von Foggia ab fuhr Marion.
Noch 127 Kilometer waren es bis Bari. Entlang der Küste des Adriatischen Meeres. Die herrliche Sonnenstraße von Barletta, Bisceglie und Molfetta. Links das blaue Meer und der weiße Strand, rechts die Weinberge, auf denen ein herrlicher Rosé reift. Ein gottgesegnetes Land, fruchtbar und schön und ewig wie die Sonne, die es prägt.
Zwischen Molfetta und Bari kamen sie in eine Polizeikontrolle. Karabinieri in hellgrauen Uniformen hatten die Straße gesperrt und fragten jeden Wagen nach dem Ziel der Fahrt.
»Nach Bari?« fragte einer der Polizisten und starrte Marions goldene Haare fasziniert an.
»Ja!« sagte Hellberg.
»Sie werden umgeleitet. Die Zufahrtstraße ist verstopft. Sie werden Bari heute nicht mehr erreichen. Sie müssen in Altamura oder Materna übernachten.«
Hellberg zog seinen Ausweis aus der Tasche und hielt ihn hoch.
»Presse.«
»Trotzdem.«
»Muß das sein?« Marion beugte sich etwas vor. Ihre Bluse war zwei Knöpfe weit offen. Der Karabiniere warf einen Blick auf die gewölbte, weiße Aussicht und schnaufte. Welcher Italiener bekommt da nicht ein weiches Herz?
»Freie Fahrt!« rief der Polizist seinen Kollegen zu und winkte. »Presse!«
Und während alle anderen Wagen umgeleitet wurden und nicht nach Bari durften, erreichten Hellberg, Marion und Claudia die Hafenstadt unter einem vom Sonnenuntergang feuerroten Himmel, das Meer in Gold und Flammen getaucht.
»Bari!« sagten alle drei, als das Ortsschild auftauchte. Sie hupten zur Begrüßung und fuhren dann langsam über die Staatsstraße 16 in die ersehnte Stadt ein. Links erhob sich die gewaltige Ellipse des Stadio della Vittoria, vor ihnen erhoben sich neben den niedrigen alten Häusern die Neubauten in den glutenden Abendhimmel. Moderne Hochhäuser, Wohnblocks, Hotels, der schlanke Kirchturm der Kathedrale. Sie fuhren die Via Napoli hinunter, bogen in die Via Pizzoli ein und stellten den Wagen am Rande der Piazza Garibaldi ab.
Mit steifen Beinen kletterten sie aus dem Wagen und gingen erst ein wenig hin und her, ehe sie etwas sagten.
»Na, wie bin ich gefahren?« fragte Marion.
»Sehr gut.« Hellberg lachte befreit. »Am besten war deine offene Bluse bei Molfetta.«
»Es stimmt also wieder, daß eine Frau am Steuer alle Hindernisse überwindet. Wie, das ist gleichgültig!«
Man war in einer ausgelassenen Stimmung. Die Nervenanspannung des langen Tages auf den Landstraßen löste sich. Wie die Kinder alberten sie herum, kauften sich an einem Eiswagen Gelati Motta und ließen reihum bei dem anderen lecken, denn sie hatten jeder ein
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