Das Schiff der Hoffnung
drin war. Alles war ja möglich. Man hört da die tollsten Sachen und ist ja schon selbst in verteufelten Situationen gewesen. Er ließ sich die kalte Nachtbrise um den Kopf wehen und rätselte herum, wie er Marion aufstöbern könnte.
Aus dem Kapitänszimmer erscholl Kreischen. Die Musik wurde lauter. Ein Twist. Dazwischen wieder Frauenlachen.
Karl Haußmann hob die Schultern. Das ist richtiges Feiern, dachte er. Die Frau im Wochenbett, der Mann besäuft sich mit jungen Weibern!
Ob in Gelsenkirchen oder auf einem jugoslawischen Schiff … es ist überall dasselbe!
Haußmann nahm sich ein Herz, kletterte die verbotene, mit einer Kette abgesperrte Außentreppe zur Kommandobrücke hinauf und drückte das Gesicht gegen das Fenster der Kapitänskajüte. Im Raum tanzte der I. Offizier mit einer der Köchinnen. Der Kapitän lag betrunken auf einem Sofa und klopfte mit der Flasche den Takt auf der Tischkante. Der Arzt hüpfte wie ein Floh als Solotänzer herum. Und in der Mitte des Raumes bewegte sich Marion Gronau in einem wilden Twist, hatte den Rock ihres an sich schon freizügigen Sommerkleides hochgezogen bis zu den Schenkeln und verrenkte den Körper unter dem Gebrüll der Männer zu fast artistischen Leistungen. Ihr blondes Haar hing schweißnaß über dem geröteten Gesicht. Ein wilder, unbeherrschter, für einen nüchternen Zuschauer schrecklicher Anblick. Eine rasende Megäre mit den Körper einer Venus.
Karl Haußmann wandte sich ab und stieg die Teppen von der Brücke hinunter.
So etwas wollte ihn heiraten, dachte er erschrocken. Wirklich, ihretwegen hätte ich mich von Erika scheiden lassen. In Rimini sollte die Entscheidung fallen. Ihretwegen hätte ich meine schöne, sanfte, immer gütige Erika verlassen. O mein Gott, wohin wäre ich geraten! Wie hätte ich in zwei Jahren ausgesehen? Ein gehörnter Ehemann, gegen den ein Kronenhirsch wie ein Einjähriger aussieht.
Und Karl Haußmann war dem Schicksal dankbar, daß er diese Nacht erlebt hatte … ja, er war dem Arzt Dr. Mihailovic und dem I. Offizier dankbar, denn sie hatten ihn geweckt. Ohne sie hätte er eine große Erkenntnis verschlafen und wäre gefangengeblieben in dem süßen Wahn, in seinem Alter noch wirklich geliebt zu werden von der herrlichen Jugend.
Langsam ging er zurück in seine Kabine und legte sich neben Erika ins Bett. Er beugte sich über sie und küßte sie auf die schlafwarmen, leicht geöffneten Lippen.
»Verzeih mir, Rika«, sagte er leise. »Du hast recht gehabt: Ich bin ein alter Esel.«
Gegen Morgen gab es einen Ruck, der durch das ganze Schiff ging. Es war, als habe die ›MS Budva‹ etwas gerammt, ein Riff, einen riesigen Fisch, eine Sandbank. Durch den stählernen Körper lief ein Zittern; dicke, weiße Qualmwolken quollen aus dem Schornstein. Dann schwiegen plötzlich die Maschinen, das Stampfen im Bauch der ›Budva‹ verflatterte mit einem stöhnenden Klappern, die Schraube drehte sich nicht mehr, wie ein Spielzeugschiff schaukelte das ›Schiff der Hoffnung‹ stumm auf den Wellen der Adria.
Von der Brücke telefonierte der Rudergänger hinunter zur Maschinenzentrale. »Zum Teufel, was ist los?« brüllte er durch die Röhre. Der II. Offizier, der ebenfalls Brückenwache hatte, saß in einer Ecke des Ruderhauses und schlief. Eine Wolke von Slibowitz umwehte ihn.
Der II. Ingenieur – der Erste lag oben in der Kapitänskajüte über dem runden Tisch und schlief, bleischweren Alkohol im Gehirn – fluchte erst einmal ellenlang, ehe er Antwort gab. »Maschinenschaden, Ivoc!« brüllte er zur Brücke hinauf. »In einer der Turbinen muß 'ne Welle gebrochen sein; wir sehen schon nach.«
»Gebrochen? Mann! Dann liegen wir ja fest!«
»Und wie wir festliegen. Ich habe immer gesagt, die ›Budva‹ ist ein Großmütterchen. Aber ihr laßt sie laufen wie 'n Teenager. Vollgas voraus! Kann dein Großväterchen noch Vollgas geben?«
»Wir haben halbe Fahrt gehabt«, brüllte der Rudergänger zurück. »Der Maschinentelegraf steht noch drauf.«
»Halbe Fahrt ist bei der ›Budva‹ Vollgas!« Der II. Ingenieur hustete. Im Maschinenraum mußte Rauch sein. »Zum Teufel noch mal, jetzt ist auch noch irgendwo ein Kurzschluß. Ein Kabel ist durchgeschmort«, keuchte er. »Geh zum Käpt'n und sag ihm, er soll das Mistschiff versenken!«
In den Kabinen merkte niemand, was geschehen war. Der Ruck wurde vom Schlaf aufgefangen. Nur auf dem Deck 2 bei den Armen, machte sich Unruhe breit. Sie hörten durch die Dielen alles, was im
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