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Das Schiff der Hoffnung

Das Schiff der Hoffnung

Titel: Das Schiff der Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Inneren des Schiffes vor sich ging. Nun schwiegen alle Maschinen. Eine Abordnung der Zweit-Deckler machte sich auf, um oben nachzuforschen, warum die ›MS Budva‹ trieb und nicht mehr fuhr. Riffe, Sandbänke und Eisberge gab es hier nicht, auch keinen sagenhaften Riesenwal, der Schiffe rammt. Es war also keinerlei Anlaß zur Panik.
    Der Rudergänger stellte alle Hebel auf Null, rüttelte den II. Offizier, gab es dann aber auf, als dieser weiterschlief. Er stieg hinunter zum Kapitänszimmer und kam in einen Dunst von Schnaps, kaltem Tabakrauch und süßlichem Parfüm. Die Männer saßen oder lagen betrunken auf Stühlen und dem Sofa; die Frauen waren anscheinend gegangen, als sich die Auflösungserscheinungen bemerkbar machten.
    Fast eine halbe Stunde brauchte der Rudergänger, ehe der Kapitän mit Hilfe von Sprudelwasser und kalten, nassen Handtüchern soweit klar war, daß er die Lage überblickte und auch verstand. Dann allerdings begann er zu brüllen, kletterte in den Maschinenraum und nannte den II. Ingenieur zunächst einen stinkenden Misthaufen. Dann besichtigte er die durchgeschmorte Leitung, ausgerechnet ein Hauptkabel, und die Turbine mit der gebrochenen Welle.
    »Scheiße!« sagte der Kapitän. »Mehr geht nicht. Wir müssen uns abschleppen lassen. Wie ist das bloß möglich?«
    »Durch den Ausfall der Turbine ist plötzlich zuviel Strom in den Verteiler und das Kabel …«
    »Wie kann die Welle brechen?!« brüllte der Kapitän.
    »Chef!« Der II. Ingenieur schob die ölige Mütze in den Nacken. An der Turbine arbeiteten sechs Mann und bauten das Bruchstück aus. »Wenn ein Hundertjähriger Ski fährt und fällt beim Wedeln hin, dann spritzen die spröden Knochen wie bei einer Eierhandgranate. Und wenn …«
    Der Kapitän verzichtete auf eine weitere Antwort und kletterte wieder aufs Deck. Dort stieß er auf die Abordnung der Zweit-Deckler, die bis jetzt vergeblich nach einer Auskunft suchten.
    »Die Turbine hat gerülpst!« schrie der Kapitän. »Sie wird noch zweimal furzen, und dann läuft sie wieder. Geht zu euren Weibern und schlaft weiter, verdammt noch mal!«
    Auf der Brücke, im Ruderhaus, setzte er sich auf einen Hocker und starrte hinaus auf das nachtschwarze Meer. Der arbeitslose Rudermaat trank die Flasche Mineralwassser leer, die er zur Ernüchterung des Kapitäns geholt hatte. Auch der Funker, der nachts ab 24 Uhr Freiwache hatte, war aus der Koje geholt worden und saß vor dem Funkgerät.
    »Wen soll ich rufen, Käpt'n?« fragte er verschlafen. »Bari oder Dubrovnik?«
    »Deine fette Anna!« schrie der Kapitän. »Mensch, siehst du denn nicht, daß es unmöglich ist, jetzt SOS zu funken?«
    »Wieso denn?« fragte der Funker zurück.
    Der Kapitän winkte ab und ging auf die Außenbrücke. Der frische Nachtwind tat ihm gut und blies den letzten Dunst aus dem Gehirn. Wir müssen warten bis morgen mittag, dachte er. Wenn jetzt aus Bari Hilfe kommt und sieht, daß alle Offiziere betrunken sind, gibt es einen Skandal. Die italienische Presse wird über uns herfallen wie die blutgierigen Wölfe. Sie warten nur darauf, die Lumpen! Und erst Dubrovnik. Der staatliche Navigationsdirektor! Ins Zuchthaus kommen wir alle wegen Sabotage und Schädigung des Ansehens des Volkes. Ich werde in der Zelle hocken, ohne mein viertes Kind gesehen zu haben. O verflucht, verflucht! Ist das eine Situation! Wir müssen unbedingt mit dem Notruf warten, bis alle wieder auf den Beinen sind. Dann dachte er an Dubrovnik, wo das Schiff um 8 Uhr morgens einlaufen mußte. Man würde bis 9 Uhr warten … dann ging die Meldung hinaus. Mit Funk und Radar würde man das Meer absuchen. Und man würde hinterher fragen: Warum haben Sie kein SOS gegeben? Und er würde antworten: Ich glaubte, mit eigener Kraft weiterzukommen.
    Ob man ihm das abnehmen würde?
    Zwei Deckstewards bemühten sich in der Kapitänskajüte um die schlafenden Gäste. Es graute bereits im Osten, und das Meer wurde streifig, als alle Offiziere auf der Brücke standen, mit schweren Köpfen, gläsernen, verquollenen Augen und einem schrecklichen Atem.
    »Freunde«, sagte der Kapitän krampfhaft ruhig. Er war sonst ein Choleriker, aber was nutzte jetzt alles Toben? »Ihr wißt alle, in welcher Tinte wir jetzt sitzen. Daß die Welle gebrochen ist – Pech! Das durchgeschmorte Kabel – Mist! Aber daß wir besoffen in der Ecke lagen, das ist eine Schande, die jeden von uns zehn Jahre Zuchthaus kosten kann. Wir sind uns also einig, daß wir die ganze Nacht

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