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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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…«
    Sie kommt nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn in diesem Moment schlägt draußen jemand heftig gegen
die Luke. Ein kurzer Blickwechsel genügt: Genau wie mir ist der Spinnenfrau klar, dass uns gar nichts anderes übrigbleibt, als die Klappe nochmals zu öffnen.
    Tsinoy, gefolgt von dem Gelben, drängt sich mit einem weiteren schlaffen Körper hindurch. »Das sind jetzt alle, nichts wie los!«, sagt er, während sich die Luke hinter ihnen schließt.
    Die neu zu uns gestoßene Kleine – es ist nicht diejenige, die mich seinerzeit aus dem Sack gezogen und alles darangesetzt hat, mich hierherzubringen – kommt allmählich wieder zu Kräften, wie nicht zuletzt an den heftigen Schluchzern zu merken ist. Bald darauf krabbelt sie zu dem schlaffen, bleichen Körper hinüber, den Tsinoy immer noch fest umklammert, und sucht an dessen Halsschlagader nach dem Puls. Währenddessen löst sich auch ihre Schwester aus dem Sicherheitsnetz, klettert zu einer blauen Halbkugel hinüber, die sie mit beiden Händen umfasst, und murmelt leise vor sich hin.
    »He!«, ruft die Spinnenfrau verblüfft, als die Halbkugel hell aufleuchtet.
    Offenbar ist es dem Mädchen gelungen, die Kapsel zu aktivieren: Summend setzt sie sich nach binnenbord in Bewegung und vollführt gleich darauf eine Kehre. Zugleich schlingt sich das Sicherheitsnetz um unsere Hände, Arme, Beine und selbst um Tsinoys widerspenstige Gliedmaßen. Auf und davon!
    In völliger Schwerelosigkeit stoßen wir in den Raum vor, während uns ein Luftstrom mit Sauerstoff versorgt.
    Immer noch steht das kleine Mädchen vor der blauen Halbkugel, spricht leise mit ihr und streicht mit den
Händen liebevoll über die glatte Oberfläche. »Ich wusste gar nicht, dass die Kleine solche Fähigkeiten hat!«, bemerkt die Spinnenfrau erstaunt und voller Bewunderung.
    »Die Mädchen wussten die ganze Zeit über die Transferkapsel Bescheid«, erwidere ich, während ich mir die schmerzenden Schultern und Knie reibe. »Ich frage mich nur, warum sie damit erst herausgerückt sind, als es für uns schon fast zu spät war.«
    »Sie haben damit so lange gewartet, bis unsere kleine Gruppe vollständig war«, erklärt der Gelbe. »Und jetzt merken sie, wie sehr ihnen die Mutter fehlt.«
    In diesem Moment schlägt der bleiche Mann, der sich bisher nicht geregt hat, die Augen auf. Zunächst fällt sein trüber Blick auf den Gelben, den hellsten Fleck in der Kapsel, danach auf mich. Ich schaue zu dem Knochenkammmenschen hinüber, der sich immer noch heulend hin und her windet, und plötzlich wird mir intuitiv klar, was ihm auf der Seele liegt: Er fühlt sich hintergangen, im Stich gelassen, einsam und allein. Die ganze Zeit über war er der Gefährte und Partner des Mädchens – bis sie den bleichen Mann fand. Den Mann, der in etwa meine Figur, meine Gesichtszüge und meine Haarfarbe hat (wenn man sich das Blut und den Schleim mal wegdenkt).
    »Halleluja!«, sagt die Spinnenfrau. »Offenbar haben wir jetzt zwei Lehrer an Bord!«

Doppelgänger
    F ür den Augenblick ist mir meine Gruppe herzlich egal, denn meine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Neuankömmling – dem jungen Mann, der wie eine Eule zu mir herüberblinzelt. Er ist mir wie aus dem Gesicht geschnitten und hat ähnlich viele verschorfte Wunden, Brandmale und Narben wie ich, wenn auch nicht unbedingt an den gleichen Stellen. Ich weiß nicht, was irritierender ist: die frühere Begegnung mit toten Versionen meines Ich oder die jetzige mit dem lebenden Doppelgänger.
    Derweil kümmert sich der Gelbe in rührender Weise um den heulenden Knochenkammmenschen, tupft ihm mit einem schmutzigen grauen Beutel und ein bisschen Wasser das Gesicht ab, säubert seinen Körper ein wenig. Nach einigen Minuten beruhigt er sich, sieht uns mit trübe blickenden, rot umränderten Augen nur unverwandt an. Er ist eindeutig traumatisiert, verhält sich jedoch still und in sich gekehrt.
    Wie wir alle. Keiner von uns hat große Lust zu reden. Jeder ist – aus welchen Gründen auch immer – mit sich selbst beschäftigt.
    Um die Transferkapsel brauchen wir uns nicht weiter zu kümmern, sie folgt ihrem eigenen Kurs. Trotzdem steht
die Spinnenfrau neben der blauen Halbkugel und lässt eine Hand leicht darauf ruhen – so als müsste sie sich vergewissern, dass sie hier eine bestimmte Aufgabe erfüllt.
    Tsinoy hat sich so klein wie möglich gemacht, nimmt den Platz vorne an der Klappe ein und überlässt uns den größten Teil des Raums. Er ist derjenige, der sich am

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