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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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versucht irgendetwas, mich hinterrücks anzugreifen. Ich kann es zwar nicht sehen, aber es hinterlässt seine Spuren an meinem Körper.« Er dreht sich um und zeigt uns den Gürtel von grünlichen Quaddeln an seinem nackten Rücken, aus denen zum Teil immer noch rötlich-gelber Eiter sickert. Vorher haben wir die Wunden unter seiner zerfetzten Kleidung und den Schmutzschichten gar nicht bemerkt. Der Gürtel an Kims imposantem Rücken hat die dreifache Breite seiner Pranken.

    »Ich weiß nicht mehr, wie ich dem Monster entkommen konnte, aber irgendwie ist es mir gelungen. Allerdings hab ich es wohl kaum verletzt, hab’s ja kaum richtig zu fassen gekriegt.«
    »Muss ein großer Killer gewesen sein«, wirft eines der Mädchen ein.
    »Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie oft ich im Kreis gegangen bin, kehrtgemacht oder eine andere Richtung eingeschlagen habe, nur um wieder am Ausgangspunkt zu landen. Es war alles so verwirrend, und ich war noch immer nicht ganz wach. Mir war klar, dass ich irgendeinen Namen haben musste, nur fiel er mir nicht ein. Mir gefällt der Name Kim , versteht mich nicht falsch, aber ich glaube nicht, dass es der mir zugedachte Name, der ursprüngliche Name ist …« Mit traurigem Lächeln schüttelt er den Kopf. »Tut mir leid, Mädchen. Ich muss Dutzende von Rotationszyklen damit verbracht haben, zu den rotierenden Schleusen vorzustoßen. Soweit ich weiß, wird dort das Wasser von dem zentralen Sammelbehälter weitergeleitet. «
    »Stimmt«, sagt Nell. Manche der Gruppe kennen all diese Geschichten schon. Nur uns zuliebe wiederholt Kim sie jetzt in konzentrierter Form, rezitiert sie fast wie die Strophen eines uralten Gedichts, das einen gewissen Trost bietet. Und im Grunde sind diese Geschichten ja auch das Einzige, was Kim und Nell besitzen. Sie haben nicht einmal eine Traumzeit erlebt, aus der hin und wieder vage persönliche Erinnerungen auftauchen. Und Tsinoy …

    »Einmal habe ich einen Reiniger erwischt, der einen Leichnam und sieben graue Beutel mitschleppte.« Kim kneift die smaragdgrünen Augen zusammen und mustert mich. »Meiner Meinung nach könntest du dieser Tote gewesen sein – ich meine eine deiner Versionen. Der Leichnam war entsetzlich verstümmelt – die Beine waren abgetrennt –, aber von seinem Hals baumelten noch Beutel herunter. Ich habe den Reiniger zwar nicht getötet, aber zerstört. Jedenfalls konnte er sich hinterher kaum noch rühren. Dann habe ich dem Toten die Beutel abgenommen, mich an seinen Vorräten satt gegessen und vier Flaschen Wasser hinuntergestürzt. Danach war mir lange Zeit übel. Ich ließ mich einfach eine lange Röhre entlangtreiben, prallte immer wieder irgendwo ab und musste ständig kotzen. Muss wohl zu schnell gegessen haben, denn seitdem ist mir das nie wieder passiert. Später sind mir die Nährriegel eigentlich immer gut bekommen.«
    »Vielleicht waren die in dem Beutel des Toten vergiftet«, meint Nell.
    »Kann sein. Irgendwann bin ich dann in den breiten Schacht hinaufgestiegen. Und plötzlich sehe ich, wie eine große leuchtende Kugel von oben auf mich zukommt. Eine Kugel, die vorne ein Fenster oder Bullauge hat.«
    »Und? Hast du hinter der Scheibe irgendwas erkennen können?«, fragt mein anderes Ich.
    »Ich glaube, ich habe eine Art Gesicht gesehen, ein glänzendes weißes Gesicht.«
    »Ein silbernes Gesicht«, werfe ich ein.
    »Auf dem Schiff gibt es gar keine …«, sprudelt Kim so reflexartig los, dass wir alle lachen müssen. Nur die beiden
Mädchen finden das keineswegs lustig und verziehen keine Miene.
    Kim wartet, bis wir uns wieder beruhigt haben, und fährt dann mit seiner Geschichte bis zu der Stelle fort, an der er weiter ins Schiff vorgestoßen ist und dem ersten kleinen Mädchen und danach Nell und Tsinoy begegnet. Der Rest ist uns bekannt.
    Nell ergreift als Nächste das Wort, flankiert von den beiden Mädchen, die Händchen mit ihr halten. Das wirkt zwar anrührend, aber zugleich irgendwie unpassend. »Das Erste, an das ich mich erinnere«, sagt sie, »ist die Szene, in der mich Tsinoy in einem Sack durch einen Dschungel schleppt. Der Sack reißt nach und nach auf, so dass ich herauszufallen drohe. Schließlich gelangen wir zu einer Plattform; ich glaube, es ist während einer Rotationsphase. An der Plattform klebt irgendetwas, vermutlich Blut.«
    »Ja, es war Blut«, wirft Tsinoy ein.
    »Wo hast du sie überhaupt gefunden?«, fragt mein Zwilling.
    »Mitten in einem Leichenhaufen im Geburtszimmer. Die meisten

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