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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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der Riemen. Dann hörte es auf. Ich
richtete mich auf und wartete. Ich hörte, wie er den Riemen an die
Wand hängte. »Nächstes Mal«, sagte er,
»will ich keinen Halm mehr sehen!« Ich hörte ihn
hinausgehen. Er machte die Tür zu. Die Wände strahlten mich
plötzlich an, die Badewanne, das Waschbecken, der Duschvorhang.
Sogar die Kloschüssel war wunderschön. Mein Vater war weg.

    17

    Von den Jungs in der Nachbarschaft war Frank der
angenehmste. Wir wurden Freunde und waren bald ständig zusammen.
Die anderen brauchten wir nicht besonders. Sie hatten Frank mehr oder
weniger aus der Clique verstoßen, und da ergab es sich von
selbst, daß er sich mir anschloß. Er war nicht wie David,
der von der Schule immer mit mir nach Hause gegangen war. Frank hatte
wesentlich mehr los als David. Ich ging sogar in die katholische
Kirche, nur weil Frank auch hinging. Meinen Eltern gefiel das sehr. Die
Messe am Sonntagmorgen war elend langweilig. Und wir mußten auch
noch in den Katechismus-Unterricht und den ganzen Kram lernen. Nichts
als langweilige Fragen und Antworten.
    Eines Nachmittags saßen wir bei mir auf den Stufen der Veranda, und ich las Frank laut die
Sprüche aus dem Katechismus vor. »Gott hat fleischliche Augen und sieht alles.«
»Fleischliche Augen?« fragte Frank.
»Ja.«
»Du meinst — so?«
Er ballte die Fäuste und drückte sie sich auf die Augen.
    »Er hat Milchflaschen als Augen«,
sagte er und drehte sich zu mir um. Dann begann er zu lachen. Ich
mußte auch lachen. Wir lachten eine ganze Zeit. Plötzlich
verstummte Frank. »Meinst du, Er hat uns gehört?«
    »Glaub schon. Wenn Er alles sehen kann,
dann kann Er wahrscheinlich auch alles hören.« »Ich
hab Angst«, sagte Frank. »Vielleicht schlägt Er uns
tot. Meinst du, Er wird uns killen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wir bleiben besser hier sitzen und warten mal. Rühr dich nicht. Sitz still.« Wir saßen da und warteten.
    »Er hat es vielleicht gar nicht eilig
damit«, sagte ich. »Ja. Er wird sich Zeit lassen«,
sagte Frank. Wir warteten eine ganze Stunde. Dann gingen wir zu Frank
nach Hause. Er bastelte gerade ein Modellflugzeug, und ich wollte es
mir mal ansehen …
    Es kam der Nachmittag, als wir beschlossen, zu
unserer ersten Beichte zu gehen. Wir machten uns auf den Weg zur
Kirche. Wir kannten einen der Priester. Er war dort die Nummer eins.
Wir waren ihm in einer Milchbar begegnet, und er hatte uns
angesprochen. Wir waren sogar schon einmal bei ihm zuhause gewesen. Er
wohnte direkt neben der Kirche und hatte eine alte Frau als
Haushälterin. Wir waren eine ganze Weile geblieben und hatten ihm
allerhand Fragen über Gott gestellt. Wie groß ist Er? Und
sitzt Er den ganzen Tag nur in einem Lehnstuhl? Und muß Er auch
aufs Klo wie alle anderen? Der Priester hatte uns etwas ausweichend
geantwortet, aber er hatte ein freundliches Lächeln und schien ein
recht netter Mensch zu sein. Auf dem Weg zur Kirche dachten wir an die
Beichte und wie es wohl sein würde. Als wir fast dort waren,
tauchte ein streunender Hund auf und lief neben uns her. Er sah sehr
dürr und verhungert aus. Wir blieben stehen, streichelten ihn und
kraulten ihn hinter den Ohren. »Wirklich ein Pech für Hunde,
daß sie nicht in den Himmel kommen können«, sagte
Frank. »Wieso nicht?« »Man muß getauft sein,
damit man in den Himmel kommt.« »Dann sollten wir ihn
taufen.« »Meinst du?«
    Ich nahm den Hund auf die Arme, und wir gingen in
die Kirche hinein. Am Weihwasserbecken hielt ich ihn hoch, und Frank
träufelte ihm das Wasser auf die Stirn. »Hiermit taufe ich
dich«, sagte Frank.
    Wir gingen mit ihm raus, und ich setzte ihn
wieder auf den Bürgersteig. »Er sieht sogar ganz
verändert aus«, sagte ich.
    Der Hund verlor das Interesse und trottete davon.
Wir gingen wieder rein, tunkten die Finger in das Weihwasser und
bekreuzigten uns. Wir knieten uns in eine Bank neben dem Beichtstuhl
und warteten. Der Vorhang teilte sich, und eine dicke Frau kam heraus.
Sie hatte einen penetranten Körpergeruch, der mir in die Nase
stieg, als sie an uns vorbeikam. Ihr Geruch mischte sich mit dem Geruch
in der Kirche, der an abgestandene Pisse erinnerte. Jeden Sonntag kamen
Leute zur Messe und atmeten diesen Geruch nach Pisse ein, und niemand
sagte etwas. Ich nahm mir immer wieder vor, den Priester darauf
anzusprechen, aber ich brachte es nicht fertig. Vielleicht lag es an
den Kerzen. »Ich geh jetzt rein«, sagte Frank.
    Er stand auf und verschwand hinter dem Vorhang. Er blieb sehr lange

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