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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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drin. Als er herauskam, grinste er.
    »Es war große Klasse! Wirklich wahr! Komm, geh du jetzt rein!«
    Ich stand auf, schob den Vorhang zur Seite, ging
rein und kniete mich hin. Es war dunkel. Alles, was ich vor meinen
Augen sehen konnte, war ein engmaschiges Gitter. Frank hatte mir
erzählt, dahinter sei Gott. Ich kniete da und versuchte, mich an
etwas Schlechtes zu erinnern, das ich getan hatte, aber es fiel mir
nichts ein. Die Knie taten mir weh, ich überlegte und
überlegte, aber ich kam auf nichts. Ich wußte nicht, was ich
machen sollte. »Nun?« sagte eine Stimme. »Sag
etwas!«
    Die Stimme hörte sich zornig an. Ich hatte
nicht damit gerechnet, daß ich hier eine Stimme hören
würde. Außerdem hatte ich immer geglaubt, Gott habe jede
Menge Zeit. Ich bekam es mit der Angst. Ich beschloß, einfach
etwas zu erfinden.
    »Naja«, sagte ich, … ich hab
meinen Vater ans Schienbein getreten. Ich … habe auf meine
Mutter geflucht … ich habe ihr Geld aus der Handtasche
gestohlen. Ich hab es für Schokolade ausgegeben. Ich habe Chuck
die Luft aus dem Football rausgelassen. Ich habe einem kleinen
Mädchen unter den Rock gesehen. Ich habe meine Mutter getreten.
Ich hab mir in der Nase gepopelt und ein bißchen davon gegessen.
Das ist eigentlich alles. Außer, daß ich vorhin noch einen
Hund getauft habe.« »Du hast einen Hund getauft??«
    Jetzt war ich geliefert. Eine Todsünde. Es
hatte keinen Zweck, daß ich noch etwas sagte. Ich stand auf. Ich
weiß nicht mehr, ob mir die Stimme auftrug, einige Ave Marias zu
sagen, oder ob sie überhaupt nichts sagte. Ich zog den Vorhang zur
Seite, und da stand Frank und wartete auf mich.
    Als wir draußen waren, sagte Frank: »Ich fühl mich so richtig rein. Du nicht?« »Nein.«
    Ich ging nie mehr zur Beichte. Es war noch schlimmer als die l0-Uhr-Messe.

    18

    Frank hatte es mit Flugzeugen. Er lieh mir seine
ganzen Schundhefte über den 1. Weltkrieg. Am besten fand ich
>Flying Aces<. Die Luftkämpfe zwischen den Spads und Fokkers
waren großartig. Ich las jede einzelne Story. Es gefiel mir zwar
nicht, daß die Deutschen dauernd verloren, aber abgesehen davon
war es großartig.
    Ich ging gern zu Frank nach Hause, um geliehene
Hefte zurückzubringen und mir neue zu borgen. Seine Mutter trug
immer Stöckelschuhe und hatte fabelhafte Beine. Meistens saß
sie in einem Sessel, hatte die Beine übereinandergeschlagen und
den Rock ziemlich hoch. Auch Franks Vater saß gewöhnlich in
einem Sessel, und die beiden hatten ständig einen Drink in
Reichweite. Franks Vater war im 1. Weltkrieg Pilot gewesen und
abgeschossen worden. Im einen Arm hatte er statt des Knochens einen
dicken Silberdraht, und er bezog eine Rente als Kriegsversehrter. Er
war ganz in Ordnung. Wenn wir ins Haus kamen, sagte er immer:
»Wie geht’s, Jungs? Was läuft so?«
    Eines Tages lasen wir etwas von einer Flugschau.
Es sollte eine große Sache werden. Frank besorgte einen
Stadtplan, und wir beschlossen, die Strecke zu trampen. Ich hatte
Zweifel, ob wir das schaffen würden, aber Frank meinte, es
würde gehen. Sein Vater gab uns Geld. Wir gingen mit unserem
Stadtplan hinunter zum Boulevard und wurden sofort von einem
älteren Typ mitgenommen. Er hatte sehr nasse Lippen, weil er sie
ständig leckte, und er trug ein altes kariertes Hemd, dessen
Kragen zugeknöpft war, obwohl er keinen Schlips trug. Seine
Augenbrauen ringelten sich merkwürdig nach unten. »Ich
heiße Daniel«, stellte er sich vor. Frank sagte: »Das
ist Henry. Und ich bin Frank.«
    Daniel fuhr eine Weile schweigend den Boulevard entlang. Dann steckte er sich eine Lucky
Strike an.
»Wohnt ihr bei euren Eltern?«
»Ja«, sagte Frank.
»Ja«, sagte ich.
    Daniels Zigarette war von seinen nassen Lippen schon ganz durchweicht. Er hielt an einer Ampel.
    »Gestern war ich am Strand und habe
gesehen, wie sie unter dem Pier zwei Jungs erwischt haben. Die Cops
haben sie verhaftet und eingebuchtet, weil der eine dem anderen einen
geblasen hat. Ich möchte mal wissen, was das die Cops angeht. Hat
mich richtig wütend gemacht.« Die Ampel sprang auf
Grün, und Daniel fuhr wieder an.
    »Findet ihr das nicht auch blöde,
daß die Cops zwei Jungs daran hindern, sich einen zu
blasen?« Wir sagten nichts.
    »Na«, sagte Daniel, »meint ihr
nicht, wenn zwei Jungs sich anständig einen blasen wollen,
daß das ihr gutes Recht ist?« »Ich glaub
schon«, sagte Frank. »Yeah«, sagte ich.
    »Wo wollt ihr beiden denn hin?«
fragte Daniel. »Zu der Flugschau«, sagte Frank.

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